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Der siebte Turm 05 - Die Schlacht beginnt

Titel: Der siebte Turm 05 - Die Schlacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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KAPITEL EINS
     
     
     
    Weit oben auf der Straße zum Berg des Lichtes, in einem Zelt aus fest zusammengenähten Wreska-Häuten, saß Milla in einem Stuhl, der aus einem einzelnen Unterkieferknochen eines jungen Selski gearbeitet war. Draußen heulte der Wind und wehte ohne Unterlass Schnee und Eis gegen die flatternde Zeltwandung.
    Der Knochenstuhl war riesig und ließ Milla kleiner erscheinen, als sie eigentlich war. Sie wirkte wie ein Kind, das so groß wie seine Eltern sein wollte. Acht Schildjungfrauen hatten mühsam und unter Gefahren den Stuhl die Straße hinaufgetragen. Der Stuhl war sehr alt und auf seiner Rückseite waren hunderte von kleinen Abbildungen aus der Geschichte und den Legenden der Eiscarls geschnitzt. Neben Millas Hand zum Beispiel befand sich ein Bild von der Größe eines Daumennagels, auf dem die legendäre Ulla Stark-Arm im Kampf mit einem Merwin dargestellt war, kurz bevor die wilde Eiscarl-Frau sein Horn abbrechen würde.
    Als sie das winzige Bild ansah, spürte Milla einen Stich in ihrer Seite und wieder einmal schmerzte die Wunde, dort, wo ein Merwin-Horn sie beinahe tödlich verletzt hatte. Sie wusste genau, dass niemand mit bloßen Händen gegen ein Merwin kämpfen konnte, doch zweifelte sie nicht daran, dass Ulla es getan hatte.
    Milla betrachtete ein paar der anderen Schnitzereien und fragte sich, ob sich die Helden der Eiscarl-Geschichte auch so gefühlt hatten wie sie – wie eine Betrügerin, die eigentlich nicht das Zeug zur Legende hatte.
    Sie war nicht mehr Milla von den Far-Raidern. Sie war jetzt Milla Krallen-Hand, das Lebende Schwert von Asteyr und Kriegsführerin der Eiscarls. Der leuchtende, violette Fingernagel aus magischem Kristall an ihrer rechten Hand war die legendäre Waffe ihrer Ahnin Danir. Und sie selbst saß auf dem alten Denkstuhl von Grettir. Sie trug Kleider aus den feinsten Ursek-Fellen. Ein Reif aus Knochen, in den ebenfalls winzige Bilder eines Eiscarl-Triumphes eingraviert waren, hielt ihre blonden Haare zusammen.
    Am Thron lehnte ein Schild aus spiegelblank polierter Muschelschale. Auch dieser Schild war uralt, ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, als die Eiscarls sich noch gegen Lichtmagie hatten verteidigen müssen. Daneben stand ein Merwin-Horn-Schwert. Es war nicht das, das Milla im Schloss in der Schulter des Dunklen Viziers Sushin hatte stecken lassen. Es war älter, leuchtete aber noch immer ein wenig, was es wirksam gegen Geistschatten machte.
    Milla saß auf dem Denkstuhl und fragte sich, was sie hier überhaupt machte. Sie hieß vielleicht Kriegsführerin, in Wahrheit verbrachte sie aber die meiste Zeit damit, auf die Anweisungen der Cronen zu warten. Nachdem sie sie an das Gebet von Asteyr gebunden hatten, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihnen zu gehorchen – und ihrem Geistschatten Odris ging es nicht anders.
    „Das ist besser, als tot zu sein“, sagte der weibliche Geistschatten. Odris stieg unter dem Stuhl hoch und hing jetzt vor Millas Gesicht in der Luft.
    „Hör damit auf, über meine Gedanken Bescheid zu wissen!“, stieß Milla hervor, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war. Odris war jetzt sehr eng mit ihr verbunden – einmal durch die erste Bindung, die in der Geistwelt Aenir vollzogen worden war, und dann durch das Gebet von Asteyr. Sie würden zusammenbleiben, bis eine von ihnen starb.
    „Hör auf, über das Sterben nachzudenken!“, zischte Odris zurück. „Ich weiß gar nicht, warum in dir ein solcher Nebel herrscht. Du bist die Kriegsführerin, die Anführerin des Feldzugs gegen das Schloss. Vielleicht sogar der berühmteste lebende Eiscarl. Sie schreiben bereits Lieder über dich. Ich habe eines davon gehört. Es geht so:
     
    Mächtig das einäugige Merwin
    Klein die zierliche Schildjungfrau
    Hell die Brillanz des Sonnensteins
    Pfeilschnell fliegt der Dolch
    Er sinkt ein in bleiche Haut
    Milla, dem Merwin überlegen…“
     
    „Das stimmt alles gar nicht!“, unterbrach Milla kopfschüttelnd den Gesang. „Ich bin keine Schildjungfrau und werde auch niemals eine sein. Außerdem hat Tal das Merwin mit seinem Sonnenstein geblendet, nicht ich. Und selbst wenn ich das Merwin getötet habe, was habe ich sonst schon richtig gemacht? Ich habe alle Gesetze gebrochen und meinen Schatten verloren. Man hätte mich auf dem Eis sterben lassen sollen.“
    „Du jammerst doch nur, weil wir hier schon so lange herumsitzen“, sagte Odris. „Keine Sorge, die Cronen werden bald eine Art Lufttang finden. Dann werden

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