Mephisto
Erklärung beigefügt: ,Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts‘. Der Verleger‹
Als Verleger empfand ich die von einem Richter weitgehend formulierte Erklärung als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Klaus Mann, ließ aber in die noch vorhandenen Exemplare das Vorwort einfügen. Gleichwohl untersagte dann das gleiche Oberlandesgericht durch Urteil im Hauptprozeß am 9. Juni 1966 die Verbreitung des Romans insgesamt, also auch mit dem Vorwort des Verlags. In der Revision bestätigte der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 20. März 1968 das Verbot. Er nahm ein nach dem Tod weiterwirkendes Schutzrecht der (verstorbenen) Persönlichkeit an und erklärte es in diesem Fall als vorrangig vor dem Grundrecht der Freiheit der Kunst, auf das sich der Verlag für Klaus Mann und für mich als Verleger berief.
Mitte 1968 legte im Auftrag des Verlags Rechtsanwalt Gerth Arras Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Der Schriftsatz behandelte nicht nur die juristischen, insbesondere die verfassungsrechtlichen Aspekte, sondern befaßte sich an Hand vieler Beispiele auch mit dem Entstehungsprozeß von Kunst, besonders von Literatur (mit dem Spezialfall des Schlüsselromans), letztlich mit dem Realismus-Problem, also dem Verhältnis von Wirklichkeit und deren künstlerischem Abbild. Die Entscheidung erging am 24. Februar 1971. Sie ist im Anhang abgedruckt.
Von den sechs Verfassungsrichtern hielten drei die Verfassungsbeschwerde für begründet und drei für unbegründet. Bei Stimmengleichheit gilt die Verfassungsbeschwerde als zurückgewiesen. Aber von den drei Richtern, die in unserem Sinne die Grundrechte durch die vorangegangenen Urteile für verletzt ansahen, machten zwei, nämlich Professor Dr. Erwin Stein und Wiltraut Rupp-von Brünneck, von der ihnen gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, ihre abweichende Meinung schriftlich zu begründen. Sie wurden der Entscheidung des Gerichts beigefügt und beides erst am 13. Juli 1971 zugestellt. Damals schrieb eineZeitung 8 :
›Der Verleger hat, wie er gestern uns gegenüber äußerte, diesen ganzen Prozeß von vornherein politisch betrachtet. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist ihm symptomatisch für die Lage der Bundesrepublik auf dem schmalen Grat zwischen Reaktion und Fortschritt. Insofern stellt die Entscheidung tatsächlich einen negativen Text dar.‹
Der mich befragende Journalist, ErhardBecker 9 , sah selbst ›den betrüblichen Zustand im Zeichen des Grundgesetzes, der besten und freiesten Verfassung, die Deutschland je besaß – wegen seiner verzweifelten Ähnlichkeit mit dem Jahr 1936, als der ,Mephisto‘ zu den in Deutschland verbotenen Büchern gehörte und sein Verfasser Klaus Mann ausgebürgert und geächtet war. Heute ist er wieder anerkannt. Sein Buch bleibt aus anderen als politischen Gründen verboten – weil der postmortale Ehrenschutz für den Schauspieler und Intendanten Gustaf Gründgens schwerer wiegt als die Freiheit der Kunst.‹
Jetzt, nach weiteren zehn Jahren, und nachdem eine große Persönlichkeit des gegenwärtigen Theaters, die Regisseurin Ariane Mnouchkine, nach Lektüre der französischen Ausgabe von ›Mephisto‹ den Stoff in Form einer Bühnenfassung nochmals aufgegriffen hat, sehe ich die Ansichten von 1971 nur bestätigt.
Man hat die Auseinandersetzung zwischen den früheren Freunden Klaus Mann und Gustaf Gründgens ein ›Duell der Toten‹ genannt. Tatsächlich hat Gründgens zu seinen Lebzeiten nicht geklagt – und alles spricht dafür, daß er selbst nie geklagt hätte –; aber er hatte seit der Aufbau-Ausgabe 1956 in Westdeutschland einiges unternommen, um drei oder vier Verlage an der Herausgabe des Romans zu hindern. Bei Klageerhebung waren dann beide ›Duellanten‹ tatsächlich tot. Klaus Mann beging 1949 Selbstmord in Cannes, Gustaf Gründgens verstarb 1963 an einer Überdosis Schlafmittel auf einer Weltreise in Manila.
Postmortales Aufsehen erregte der Streit seiner politischen Bedeutung wegen – ein Emigrant gegen einen hohen Würdenträger des Dritten Reichs, der politisch Verfolgten geholfen und durch seine Kollaboration in den Augen vieler Generationsgefährten die Tradition des deutschen Theaters über dieses Dritte Reich hinweg gerettet hatte. Aber es gibt noch den familiären Aspekt. Gustaf Gründgens war in erster Ehe mehrere Jahre mit Erika Mann, der Schwester von Klaus Mann, verheiratet. Die Ehe wurde 1929 geschieden. Und nicht ohne tragische
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