Mephisto
Telegramm, das er im Juni 1936 an die Redaktion des Pariser Tageblatts gesandt hatte:
Kein Schlüsselroman.
Eine notwendige Erklärung von Klaus Mann.
Sehr geehrte Redaktion –
es bedeutet eine große Freude für mich, daß der erste Roman, welcher im Feuilleton der mit so viel Tapferkeit, Elan und Energie gegründeten neuen Pariser Tageszeitung läuft, mein ›Mephisto‹ ist.
Ich muß aber Ihnen – und ich muß es vor allem unseren Lesern – gestehen, daß mein Vergnügen eine gewisse Einbuße erlitten hat durch die überraschende und keineswegs sehr glückliche Form, auf die Sie meinen Roman in Ihren Spalten ankündigen. Nicht ohne Schrecken bemerke ich als Überschrift Ihrer Voranzeige die Worte: ›Ein Schlüsselroman‹ – ›Ein Schlüsselroman‹? Wann hätte ein Schriftsteller, der solchen Namen irgend verdient, etwas hervorgebracht, was er mit dieser nicht gerade ehrenvollen Bezeichnung belegt sehen möchte? Ich muß protestieren – um der Würde Ihres Blattes willen, um unserer Leser willen, die zu anspruchsvoll sind, als daß sie mit ›Schlüsselromanen‹ amüsiert sein möchten; schließlich auch um meiner eigenen Würde willen.
Ich bin genötigt, feierlich zu erklären: Mir lag nicht daran, die Geschichte eines bestimmten Menschen zu erzählen, als ich ›Mephisto, Roman einer Karriere‹ schrieb. Mir lag daran, einen Typus darzustellen, und mit ihm die verschiedenen Milieus (mein Roman spielt keineswegs nur im ›braunen‹), die soziologischen und geistigen Voraussetzungen, die solchen Aufstieg erst möglich machten.
In Ihrer Voranzeige steht bedauerlicher Weise, mein Mephisto trage ›die Züge‹ eines bestimmten, heute in Deutschland erfolgreichen Schauspielers; ich will seinen Namen hier nicht wiederholen. Ja, diesen Schauspieler habe ich in der Tat gekannt. Aber was kann er heute für mich bedeuten? Vielleicht eine persönliche Enttäuschung; vielleicht nicht einmal das … Bin ich so tief gesunken, Romane um Privatpersonen zu schreiben? Meine Enttäuschung, mein Zorn, mein Schmerz – sind sie so ziellos, so ›privat‹, daß sie sich mit Individuen beschäftigen, denen ich dieses oder jenes übel nehme und an denen ich mich in Form eines Schlüsselromans räche?
Mein Schmerz, mein Zorn, meine Entrüstung haben größere Gegenstände, als ein bestimmter Schauspieler es sein könnte, und sei er selbst zum Intendanten aufgestiegen. Wenn ich die Erkenntnisse und Gefühle, die drei bittere Jahre für uns mit sich brachten, in einer – übrigens, wie ich hoffe, nicht nur polemisch koncipierten, sondern auch episch geformten – Figur zusammenfasse, sie in einer Figur verdichte – so kann dies nur in einer dichterischen, repräsentativen –: nur in einer erfundenen Figur geschehen.
Nein, mein Mephisto ist nicht dieser oder jener. In ihm fließen vielerlei ›Züge‹ zusammen. Hier handelt es sich um kein ›Porträt‹, sondern um einen symbolischen Typus – der Leser wird beurteilen, ob auch um einen lebensvollen, dichterisch geschauten und gestalteten Menschen.
Der Leser, an den ich diese Zeilen vertrauensvoll richte, würde – so möchte ich annehmen – auch ohne diese meine ›Erklärung‹ festgestellt haben, daß meine erzählerische Arbeit mit der Bezeichnung ›Ein Schlüsselroman‹ unzutreffend charakterisiert ist. Trotzdem mußte ich diese Erklärung machen. Denn wichtiger als alle taktischen Erwägungen, wesentlicher als alle Rücksichten scheint es mir – heute mehr denn je – daß wir – gerade wir in der Emigration – über unserer schriftstellerischen und intellektuellen Ehre wachen und sie vor jeder Ungeschicklichkeit – wie sie ›im Eifer des Gefechtes‹ unter Kameraden wohl passieren kann – leidenschaftlich verteidigen, da wir sie doch vor der Böswilligkeit und Infamie zu Hause schon nicht verteidigen können.
Mit den besten Grüßen und Wünschen für Ihre Arbeit
Ihr ergebener
K.M.
Offenbar mit Erfolg vor Gericht hatte der Kläger auf die Besprechung des Romans durch den Journalisten PaulHühnerfeld 10 anläßlich der Aufbau-Ausgabe (1956) hingewiesen. Danach sei der Roman ›ein Dokument der Privatrache eines von Ressentiments geschüttelten blindwütigen Bruders, der die Ehre der Schwester verletzt sieht‹. Dagegen spricht zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur die durch den verloren gewesenen Kesten-Brief geklärte Entstehungsgeschichte des Romans, sondern auch eine eidesstattliche Erklärung von Erika Mann, wonach sie und ihr Bruder
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