Mephisto
Fügung ist es, daß wohl einer der Gründe zu Klaus Manns Freitod die Ablehnung der schon zugesagten Veröffentlichung des ›Mephisto‹-Romans durch einen Verleger in West-Berlin gewesen ist. Dieser hatte das Werk herausbringen wollen, war jedoch inzwischen wegen der politischen Verhältnisse nach Bayern übersiedelt.
Am 5. Mai 1949 schrieb er an Klaus Mann: ›Von hier aus aber kann man schlecht den ,Mephisto‘ starten, denn Herr Gründgens spielt hier eine bereits sehr bedeutende Rolle … Von Berlin aus hätte man so etwas leichter starten können: im Westen ist diese Aktion aber keinesfalls einfach.‹
Klaus Mann antwortete ihm am 12. Mai 1949, neun Tage vor seinem Tod:
Sehr geehrter Herr Jacobi,
Ihr Brief vom 5. Mai ist unbezahlbar! Einen Roman drucken – das heißt bei euch jetzt also ›eine Aktion starten‹. Diese Aktion, so meinen Sie – dürfte im Fall des ›Mephisto‹ ,keinesfalls einfach sein‘ und muß ergo zunächst unterbleiben. Warum? Weil Herr Gründgens … ,hier eine bereits bedeutende Rolle spielt‘.
Das heiße ich mir Logik! Und Zivilcourage! Und Vertragstreue! – Ich weiß nicht, was mich mehr frappiert: die Niedrigkeit Ihrer Gesinnung oder die Naivität, mit der Sie diese zugeben. Gründgens hat Erfolg: warum sollten Sie da ein Buch herausbringen, das gegen ihn gerichtet scheinen könnte? Nur nichts riskieren! Immer mit der Macht! Mit dem Strom schwimmen! Man weiß ja, wohin es führt: zu eben jenen Konzentrationslagern, von denen man nachher nichts gewußt haben will …
Ich darf Sie um die Gefälligkeit bitten, mir das Ihnen anvertraute Exemplar des ›Mephisto‹ (eine Seltenheit) umgehend an obige Adresse schicken zu wollen. Bitte schreiben Sie mir nicht mehr.
Hochachtungsvoll Klaus Mann
Diesen Brief nimmt übrigens Ariane Mnouchkine zum Ausgangspunkt ihrer dramatischen Bearbeitung des Klaus Mannschen ›Mephisto‹-Stoffes (1979), die im Théâtre du Soleil in Vincennes bei Paris weit über 200 000 Zuschauer anzog und 1980 durch Gastspiele in Berlin und München und durch Fernsehübertragungen einem großen Publikum in der Bundesrepublik bekannt wurde. (Eine Textausgabe liegt in der edition spangenberg vor.)
Der ›Mephisto‹-Prozeß gilt als der bekannteste Literatur-Prozeß der deutschen Nachkriegszeit. Überlegungen, welcher Natur der künstlerische Schöpfungsakt sei, spielen eine entscheidende Rolle.
Seltsamerweise haben Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof gemeint, es wäre dem inzwischen verstorbenen Klaus Mann, hätte er gelebt, zuzumuten gewesen, das Werk nach 1945 so umzugestalten, daß der Leser Gründgens in der Hauptfigur des Romans, Hendrik Höfgen, nicht wiedererkenne. Denn durch die Neuherausgabe in unveränderter Fassung zum damaligen Zeitpunkt (1965) würde die Ehrverletzung und Verunglimpfung von Gründgens fortgesetzt werden, die durch frühere Ausgaben bereits eingetreten seien.
Der Bundesgerichtshof sagte allerdings auch, daß mit der Zeit die Erinnerung an den Schauspieler verblasse und damit sein persönlichkeitsrechtlicher Anspruch erlöschen könnte. Zumindest sei die Befugnis des Klägers Gorski, den gesellschaftlichen Achtungsanspruch des Verstorbenen nach dessen Tod wahrzunehmen, zeitlich begrenzt. Aber auch der Bundesgerichtshof hielt daran fest, daß der Roman zum Zeitpunkt des Urteils für einen nicht unbedeutenden Leserkreis ein negativ verzerrtes Charakter- und Lebensbild von Gründgens vermittle.
Diese Formulierungen, die hier in der Sprache der Gerichte wiedergegeben werden, führen uns zu der Kernfrage des Prozesses: Handelt es sich um einen Schlüsselroman der Karriere von Gustaf Gründgens? Und wenn ja, wieweit liegt eine Lebensbeschreibung von Gründgens vor, eine Dokumentation, die (mit den Worten des Klägers) ›verfälscht‹ ist? Oder ist das Werk doch (wiederum eine Formulierung des Klägers, der sich die Gerichte bedienten) ›eine Schmähschrift in Romanform‹? Das Schwanken zwischen diesen beiden Möglichkeiten, der Kunstform des Romans und der einfachen Dokumentation, die dann in jedem Punkt stimmen muß, führte, wie die Verfassungsrichterin Rupp-von Brünneck gezeigt hat, zu logischen Widersprüchen in den Urteilen der beiden höheren Instanzen. Klaus Mann hat sich in seiner Autobiographie ›Der Wendepunkt‹ geäußert, wieweit sein ehemaliger Schwager als Vorbild diente. Leider erst nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs fand sich eine weit frühere Äußerung des Verfassers dazu, nämlich ein
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