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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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Zustand leichter Berauschtheit versetzt. Wie selten wurden so enthusiastische Stimmungen ihm jetzt noch zuteil! Früher – ja, früher war er oft, vielleicht beinahe immer so gewesen: so beflügelt und so selbstvergessen. Als er, zwanzigjährig, bei der Wanderbühne Väter und reife Helden spielte: damals hatte er lustige Tage gekannt. Damals waren sein Übermut, seine Verspieltheit stärker gewesen als sein Ehrgeiz – es war lange her, wenn auch vielleicht so unendlich lange noch nicht, wie es ihm jetzt meistens erscheinen wollte. Hatte er sich wirklich so verändert? War er nicht noch immer übermütig und verspielt? Auch jetzt, in dieser guten Stunde, wußte er nichts mehr vom Ehrgeiz. Wären die Begriffe des Ehrgeizes, der großen Karriere ihm jetzt gegenwärtig geworden, er hätte über sie nur lachen können. Gegenwärtig aber war ihm jetzt nur: daß die Luft frisch und durchsonnt und daß er selber noch jung war; weiterhin: daß er lief; daß sein Schal flatterte; daß er nun gleich bei seiner Liebsten sein würde.
    Die schöne Stimmung ließ ihn wohlwollend werden, zum Beispiel gegenüber Angelika, die er so häufig demütigte und kränkte. Nun dachte er an sie beinah zärtlich. Ein liebes Kind, ein sehr liebes Kind, ich will ihr heute abend irgendwas schenken, damit sie sich auch einmal freut. Könnte man nicht mit Angelika zusammenleben? Ja, das wäre ein bequemes Dasein – ein viel bequemeres als das mit meiner Juliette. – Bei allem ergriffenen Wohlwollen des Augenblicks mußte er nun doch höhnisch kichern, weil er Angelika mit Juliette verglichen hatte – die arme kleine Siebert mit der großen Juliette, die auf eine schreckliche und genaue Art das war, was er brauchte. Für solchen Frevel bat er Juliette innerlich um Verzeihung, während er vor seiner Haustür angelangt war.
    Die altmodische Villa, in deren Erdgeschoß er ein Zimmer bewohnte, lag in einer jener stillen Straßen, die vor dreißig Jahren zu den vornehmsten der Stadt gehört hatten. Mit der Inflation waren die meisten Bewohner der feinen Gegend arm geworden; ihre Villen mit den vielen Zinnen und Giebeln sahen schon recht heruntergekommen aus – verwahrlost, wie die großen Gärten, die sie umgaben. Auch Frau Konsul Mönkeberg, der Hendrik monatlich vierzig Mark für eine geräumige Stube bezahlte, fand sich in bedrängten Verhältnissen. Trotzdem war sie eine tadellose, stolze alte Dame geblieben, die ihre sonderbaren Kostüme mit Puffärmeln und Spitzenumhang würdevoll trug, auf deren glatten Scheitel niemals ein Haar sich widerspenstig zu zeigen wagte und um deren schmale Lippen ironische, aber nicht bittere Fältchen spielten. Die Witwe Mönkeberg war überlegen genug, an den Exzentrizitäten und diversen Unartigkeiten ihres Mieters keinen Anstoß zu nehmen, sondern ihnen eher die drolligen Seiten abzugewinnen. Im Kreise ihrer Freundinnen – alte Damen von ähnlicher Feinheit, ähnlicher Armut und fast dem gleichen Aussehen wie sie – pflegte sie mit trockenem Humor von den Narreteien ihres Untermieters zu berichten. »Manchmal springt er auf einem Bein die Treppe hinauf«, sagte sie und lächelte beinahe wehmütig. »Und wenn er spazierengeht, setzt er sich oft plötzlich aufs Trottoir – denken Sie sich doch: auf das schmutzige Pflaster –, weil er fürchtet, er müsse sonst stolpern und hinfallen.« Während alle Damen ihre grauen Häupter schüttelten und, halb schockiert, halb amüsiert, mit den Mantillen raschelten, fügte die Konsulin versöhnlich hinzu: »Was wollen Sie, meine Lieben? Ein Künstler … Vielleicht ein bedeutender Künstler«, sprach die alte Patrizierin langsam und bewegte die hageren, weißen Finger, an denen sie seit zehn Jahren keine Ringe mehr trug, auf der verblichenen Spitzendecke des Teetisches.
    Hendrik fühlte sich unsicher in der Gegenwart der Dame Mönkeberg; ihre vornehme Herkunft und Vergangenheit schüchterten ihn ein. So war es ihm auch jetzt durchaus nicht angenehm, der feinen Alten im Vestibül zu begegnen, nachdem er gerade die Haustür so krachend hinter sich ins Schloß geworfen hatte. Angesichts ihrer imposanten Haltung nahm auch er sich ein wenig zusammen; zupfte sich den roten Seidenschal zurecht und klemmte sich das Monokel vors Auge. »Guten Abend, gnädige Frau, wie geht es Ihnen?« sprach er mit der singenden Stimme, die sich am Ende der Höflichkeitsfloskel nicht hob, wodurch der formelhaft konventionelle und anmutig leere Charakter des Satzes betont ward. Die artige kleine

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