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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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jünger, oder doch alterslos. Dieses war nicht mehr das betrübte Antlitz der alternden, intellektuellen Frau. Die Wangen wirkten nicht mehr flaumig, sondern glatt. Das Lächeln um die orientalisch trägen, halbgeöffneten Lippen war nicht mehr ironisch, sondern fast verführerisch. Still und zärtlich schaute Frau von Herzfeld auf Hendrik Höfgen. Sie dachte nicht daran, daß sie selber reizvoller aussah als sonst; nur daß Hendriks Gesicht mit dem angestrengten Leidenszug an den Schläfen und dem edlen Kinn blaß und deutlich in der Dämmerung stand, merkte sie und genoß sie.
    Hendrik hatte seine Ellenbogen auf den Tisch gestützt und die Fingerspitzen seiner ausgestreckten Hände gegeneinander gelegt. Diese anspruchsvolle Haltung leistete er sich wie einer, der besonders schöne, gotisch spitze Hände hat. Höfgens Hände waren aber keineswegs gotisch; vielmehr schienen sie den Leidenszug der Schläfen durch ihre unschöne Derbheit widerlegen zu wollen. Die Handrücken waren sehr breit und rötlich behaart; breit waren auch die ziemlich langen Finger, die in eckigen, nicht ganz sauberen Nägeln endigten. Gerade diese Nägel waren es wohl, die den Händen ihren unedlen, beinah unappetitlichen Charakter gaben. Sie schienen aus minderwertiger Substanz zu sein: bröckelig, spröde, ohne Glanz, ohne Form und Wölbung.
    Diese Schadhaftigkeit und Mängel aber verbarg die vorteilhafte Dämmerung. Hingegen ließ sie das träumerische Schielen der grünlichen Augen rätselhaft und reizend wirken.
    »Woran denken Sie, Hendrik?« fragte die Herzfeld, nach langem Schweigen, mit einer innig gedämpften Stimme. Ebenso leise antwortete Höfgen: »Ich denke daran – daß Dora Martin unrecht hat …« Hedda ließ ihn, über seine aneinander gelegten Hände hinweg, ins Dunkel reden, ohne zu fragen oder zu widersprechen. »Ich werde mich nicht beweisen«, klagte er in die Dämmerung. »Ich habe nichts zu beweisen. Niemals werde ich erstklassig sein. Ich bin provinziell.« Er verstummte, preßte die Lippen aufeinander, als erschräke er selber vor den Erkenntnissen und Bekenntnissen, zu denen die sonderbare Stunde ihn brachte.
    »Und weiter?« fragte Frau von Herzfeld mit sanftem Vorwurf. »Und weiter denken Sie nichts? Immer nur daran?« Da er stumm blieb, dachte sie: Ja – dieses ist wohl das einzige, was ihn wirklich beschäftigt. Das mit dem politischen Theater vorhin und sein Enthusiasmus für die Revolution – das war also auch nur Komödie. Diese Entdeckung erfüllte sie mit Enttäuschung; irgendwo fühlte sie sich aber auch auf eine merkwürdige Art von ihr befriedigt.
    Er ließ mysteriös die Augen schillern; eine Antwort hatte er nicht.
    »Merken Sie denn nicht, wie Sie die kleine Angelika quälen?« fragte die Frau neben ihm. »Spüren Sie denn nicht, daß Sie – andere leiden machen? Irgendwo müssen Sie doch für all das bezahlen.« Sie ließ den klagenden und suchenden Blick nicht von ihm. »Irgendwo müssen Sie doch büßen – und lieben.«
    Nun war es ihr doch peinlich, daß sie dies gesagt hatte. Es war entschieden zuviel, sie hatte sich gehen lassen. Schnell entfernte sie ihr Gesicht von seinem. Zu ihrem Erstaunen bestrafte er sie durch kein böses Grinsen, durch kein höhnisches Wort. Vielmehr blieb sein Blick, schielend, schillernd und starr, ins Dunkel gerichtet, als suchte er dort Antwort auf dringliche Fragen, Stillung seiner Zweifel und das Bild einer Zukunft, deren eigentlicher Sinn es war, ihn groß zu machen.

II
DIE TANZSTUNDE
    Für den nächsten Tag hatte Hendrik den Beginn der Probe auf halb zehn Uhr angesetzt. Pünktlich versammelte sich das Ensemble, so weit es in ›Frühlings-Erwachen‹ beschäftigt war, teils auf der zugigen Bühne, teils im spärlich beleuchteten Parkett. Nachdem man etwa eine Viertelstunde lang gewartet hatte, entschloß sich Frau von Herzfeld dazu, Höfgen aus dem Bureau zu holen, wo er sich seit neun Uhr mit den Direktoren Schmitz und Kroge besprach.
    Gleich bei seinem Eintritt waren sich alle darüber klar, daß er sich heute in der ungnädigsten Stimmung befand – der strahlende Causeur vom vorigen Abend war nicht wiederzuerkennen. Die Schultern auf nervöse Art hochgezogen, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ging er eilig durch das Parkett und bat, mit einer vor Gereiztheit fast tonlosen Stimme, um ein Exemplar des Textbuches. »Ich habe meines zu Hause liegen lassen.« Er hatte einen bitter gekränkten Ton, der gleichsam allen Anwesenden einen leisen, aber

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