Mephisto
widmen konnte, überließ er dieses Mal die Regie dem Direktor Kroge, der ein alter Spezialist für die Komödien des Theophil Marder war.
›Knorke‹ gehörte in einen Zyklus von satirischen Stücken, die das deutsche Bürgertum unter Wilhelm II. schilderten und verhöhnten. Held der Komödie war der Emporkömmling, der mit dem zynisch verdienten Geld, mit dem ordinären Elan seines Wesens und einer skrupellosen, niedrigen, selbstbewußten Intelligenz sich Macht und Einfluß in den höchsten Kreisen erobert. Knorke war grotesk, aber auch imposant. Er repräsentierte den parvenühaft emporschießenden, vitalen, ganz dem Geist entfremdeten bourgeoisen Typus. Höfgen versprach großartig zu werden in dieser Rolle. Er hatte ihre grausam schneidenden Akzente und zuweilen ihre beinah rührende Hilflosigkeit. Alles brachte er mit: die unsichere, aber zunächst blendende Grandezza der Haltung und der Gebärde; die gemeine, grauenhaft geschickte Rhetorik dessen, der alle hineinlegt, um nur selbst nach oben zu kommen; die fahle, starre, fast heroische Miene des vom Ehrgeiz Besessenen, und sogar noch den entsetzensvollen Blick auf den eigenen Aufstieg, der gar zu schwindelnd ist und jäh enden könnte. Keine Frage: Höfgen mußte Sensation machen in diesem Stück.
Seine Partnerin, Knorkes Lebensgefährtin, die nicht weniger skrupellos ist als er selber, und schwächer nur dadurch, daß sie liebt: daß sie Knorke liebt – seine Partnerin in der genialen Komödie spielte ein junges Mädchen, das von Theophil Marder in energisch oder beinah zornig abgefaßten Briefen dringend empfohlen worden war. Nicoletta von Niebuhr besaß noch wenig praktische Theatererfahrung – nur ganz selten war sie aufgetreten, und dies in kleineren Städten –, aber ein selbstsicheres, beinah einschüchterndes Wesen. Marder hatte dem armen Oskar H. Kroge in krassen Ausdrücken mit dem gräßlichsten Skandal gedroht, falls die Direktion des Künstlertheaters Fräulein von Niebuhr nicht für ein erstes Fach engagieren würde. Kroge, der vor des Dramatikers fürchterlicher Diktion klein und ängstlich wurde, ließ Nicoletta in »Knorke« probeweise gastieren. Sie kam angereist, mit vielen Handkoffern aus rotem Lackleder, einem breitrandigen schwarzen Herrenhut zu einem brennendroten Gummimantel, einer großen gebogenen Nase und leuchtenden Katzenaugen unter einer hohen, schönen Stirn. Alle bemerkten sogleich, daß sie eine Persönlichkeit war: die Motz konstatierte es mit ehrfurchtsvoll bewegter Stimme im H.K., und niemand mochte ihr widersprechen, selbst Rahel Mohrenwitz nicht, obwohl diese sich über die Ankunft der Neuen ärgerte; denn ganz entschieden war auch Nicoletta eine dämonische junge Dame, sie brauchte weder Monokel noch lange Zigarettenspitze, um es der Welt zu beweisen.
Rolf Bonetti und Petersen diskutierten darüber, ob Nicoletta schön zu nennen sei. Der enthusiastische Petersen fand sie »einfach blendend«; der vorsichtige Kenner Bonetti wollte sie nur als »interessant« bezeichnet wissen. »Von schön kann doch gar nicht die Rede sein, bei der Nase!« sagte er wegwerfend. – »Aber ihre Augen sind herrlich«, schwärmte Petersen, wobei er um sich blickte, ob die Motz nicht in der Nähe war. »Und wie sie sich hält! Majestätisch, möchte man beinah sprechen!« – Draußen ging Nicoletta vorbei, Arm in Arm mit Höfgen, was viel bemerkt ward. Ihr Kopf mit der kühnen Nase, dem leuchtenden Blick und der großen Stirn glich dem eines Renaissance-Jünglings: dies stellte, mit leidvoller Einsicht, Frau von Herzfeld fest, die das Paar eifersüchtig verfolgte. Nicoletta hielt sich sehr gerade. Ihre grell geschminkten, scharfen Lippen formten die Worte mit einer schneidenden Präzision; jeder Satz klirrte vor Akkuratesse; die Vokale sprach sie ganz weit vorn, so daß sie blank und flach klangen, kein Konsonant ging verloren, noch die beiläufigste Floskel wurde zum Triumph der Sprachtechnik.
Gerade war Nicoletta dabei, mit dämonischer Sorgfalt zu betonen, daß sie ehrgeizig sei, und, wenn es sein müsse, auch intrigant. »Natürlich, mein Liebling!« sagte sie schneidend zu Höfgen, den sie seit ein paar Stunden kannte. »Vorwärtskommen wollen wir alle. Man muß Ellenbogen haben.« Hendrik, der sie sich neugierig von der Seite beschaute, dachte darüber nach, ob sie in diesem Augenblick aufrichtig sei oder posierte. Es war schwer zu entscheiden. Vielleicht war gerade dieser radikal entschlossene Zynismus die Maske, hinter der sie
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