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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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verderben: Unser Vaterland, über dem der Himmel finster geworden ist und von dem Gott sein Antlitz zürnend weggewendet hat. Es ist Nacht in unserem Vaterlande. Die schlechten Herren reisen durch seine Gaue – in großen Automobilen, in Flugzeugen oder in Extrazügen. Sie reisen eifrig umher. Auf allen Marktplätzen plappern sie ihren Schwindel. An jedem Orte, wo sie oder ihre Helfer erscheinen, erlöscht das Licht der Vernunft, und es wird finster.
     
    Der Schauspieler Höfgen befand sich in Spanien, als, dank den Intrigen im Palais des ehrwürdigen Reichspräsidenten und Generalfeldmarschalls, jener Mann mit der bellenden Stimme, den Hans Miklas und mit ihm eine große Anzahl unwissender und verzweifelter Menschen ihren ›Führer‹ nannten, Reichskanzler wurde. Der Schauspieler Hendrik Höfgen spielte den eleganten Hochstapler in einem Detektivfilm, zu dem die Außenaufnahmen in der Nähe von Madrid gedreht wurden. Nach einem anstrengenden Tage kam er abends müde ins Hotel zurück, kaufte sich beim Concierge Zeitungen und erschrak. Wie – der großsprecherische Geselle, über den man sich so häufig lustig gemacht hatte im Kreise geistvoller und fortschrittlich gesinnter Genossen – er sollte nun plötzlich der mächtigste Mann im Staate sein? – Das ist ja scheußlich, dachte der Schauspieler Höfgen. Eine scheußliche Überraschung! Und ich war fest davon überzeugt gewesen, diese Nazis brauchte man nicht ernst zu nehmen! So ein Reinfall!
    Er stand in seinem schönen, beigefarbenen Frühlingsanzug in der Halle des Hotel Ritz, wo ein internationales Publikum die unheilschwangeren Vorkommnisse und die Reaktion der Börse auf sie besprach. Dem armen Hendrik wurde es heiß und kalt, wenn er bedachte, was ihm nun bevorstehen mochte. Zahlreiche Personen, denen er immer nur Böses angetan, würden jetzt vielleicht die Möglichkeit haben, sich an ihm zu rächen. Cäsar von Muck zum Beispiel: ach, hätte er sich doch nur ein wenig besser mit dem Blut- und Boden-Dichter gestellt, anstatt alle seine Stücke abzulehnen! Was für unverzeihliche Fehler hatte man gemacht – nun begriff man es, und es war zu spät. Es war zu spät, man hatte bei den Nazis lauter unversöhnliche Feinde. Sogar an den kleinen Hans Miklas mußte der erschütterte Hendrik denken – was hätte er nun drum gegeben, jenen unseligen Zwischenfall im Hamburger Künstlertheater ungeschehen machen zu können! Welche Bagatelle war denn damals der Anlaß gewesen für einen Zank, der sich nachträglich als so beklagenswert herausstellte? Eine Aktrice namens Lotte Lindenthal: sehr wohl möglich, daß selbst aus dieser plötzlich eine Person geworden war, die im entscheidenden Grade nützen oder schaden konnte …
    Mit wankenden Knien betrat Hendrik den Lift. Eine Verabredung, die er für den Abend mit einigen Kollegen getroffen hatte, sagte er ab. Er ließ sich das Diner auf seinem Zimmer servieren. Nachdem er eine halbe Flasche Champagner getrunken hatte, wurde seine Stimmung etwas zuversichtlicher. Man mußte kühl und gefaßt bleiben, sich vor Panikstimmungen hüten. Dieser sogenannte ›Führer‹ war also Reichskanzler – schlimm genug. Immerhin war er noch nicht Diktator und würde es aller Wahrscheinlichkeit nach niemals werden. Die Leute, die ihn an die Macht geholt haben, diese Deutschnationalen, werden schon dafür sorgen, daß er ihnen nicht gar zu sehr über den Kopf wächst, dachte Hendrik. Dann fielen ihm auch die großen Oppositionsparteien ein, die doch schließlich noch existieren. Die Sozialdemokraten und die Kommunisten würden Widerstand leisten – vielleicht bewaffneten Widerstand –: so beschloß Hendrik Höfgen in seinem Hotelzimmer und bei seiner halben Flasche Sekt, nicht ohne lustvolles Gruseln. Nein, bis zur nationalsozialistischen Diktatur war es noch weit! Vielleicht würde die Situation sogar überraschend schnell umschlagen: der Versuch, das deutsche Volk dem Faschismus auszuliefern, konnte enden mit der sozialistischen Revolution. Dergleichen war sehr wohl möglich, und dann würde sich herausstellen, daß der Schauspieler Höfgen ungemein schlau und weitblickend spekuliert hatte. – Angenommen aber sogar, die Nazis blieben an der Regierung: was hatte er, Höfgen, schließlich von ihnen zu fürchten? Er gehörte keiner Partei an, er war kein Jude. Vor allem dieser Umstand – daß er kein Jude war – erschien Hendrik mit einemmal ungeheuer tröstlich und bedeutungsvoll. Was für ein unverhoffter und bedeutender

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