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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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mich überall durchbringen – es würde wohl nicht ganz leicht sein, aber es müßte gehen. Welche Erleichterung, ja welche Erlösung würde es bedeuten: stolz und freiwillig mich zurückzuziehen von einem Lande, wo die Luft verpestet ist; mit lauter Stimme die Solidarität zu erklären mit jenen, die kämpfen wollen gegen das blutbefleckte Regime! Wie rein würde ich mich fühlen dürfen, könnte ich mich durchringen zu solchem Entschluß! Was für einen neuen Sinn, welch neue Würde bekäme mein Leben!
    Mit diesen Stimmungen, die sehr heftig und auf eine düstere Art genußreich waren, aber nie lange standhielten, stellte sich regelmäßig ein Bedürfnis ein, Barbara wiederzusehen und lange mit ihr zu sprechen – Barbara, die er seinen guten Engel genannt hatte: wie dringend brauchte er sie gerade jetzt! Aber er war seit Monaten ohne Nachricht von ihr, er wußte gar nicht, wo sie sich befand. Wahrscheinlich sitzt sie auf dem Gut der Generalin und kümmert sich um nichts! dachte er bitter. Ich habe es ihr ja vorausgesagt, sie werde noch dem faschistischen Terror interessante Seiten abgewinnen. So mußte es kommen: Ich bin der Märtyrer, ich irre durch die Straßen dieser fremden Stadt; sie aber plaudert vielleicht gerade mit einem von diesen Mördern und Folterknechten, wie sie mit Hans Miklas zu plaudern pflegte …
    Da seine Einsamkeit anfing, ihm unerträglich zu werden, spielte er mit dem Gedanken, Prinzessin Tebab aus Berlin nach Paris kommen zu lassen. Welche Erfrischung und Kräftigung würde es sein, ihr grollendes Lachen wieder zu hören, ihre starke Hand, deren Haut sich rauh anfühlte wie die Rinde eines Baumes, wieder zu berühren! Deutschland den Rücken kehren und ein neues, wildes Leben mit Prinzessin Tebab beginnen: ach, wie schön und richtig wäre dies! Konnte es denn nicht sein? War es nicht im Bereich des Möglichen? Man brauchte nur nach Berlin zu telegraphieren, und am nächsten Tage würde die Schwarze Venus eintreffen, mit ihren grünen Schaftstiefeln und der roten geflochtenen Peitsche im Koffer. Hendrik hatte süße und rebellische Träume, in deren Mittelpunkt Prinzessin Tebab stand. In krassen und erregenden Farben malte er sich das Leben aus, das er gemeinsam mit ihr führen würde. Man könnte damit beginnen, als Tanzpaar in Paris, London oder New York sein Brot zu verdienen. Hendrik und Juliette, die zwei besten Step-Tänzer der Welt. Beim Tanzen jedoch würde es wahrscheinlich nicht bleiben. Hendrik erwog kühnere Möglichkeiten. Aus dem Tanzpaar könnte ein Hochstaplerpaar werden – wie lustig würde es sein, die Rolle des mondänen Kriminellen, die man so oft in Filmen oder Theaterstücken verkörpert hatte, auch einmal in der Wirklichkeit zu spielen, mit allen Gefahren, allen Konsequenzen! Seite an Seite mit dieser herrlichen Wilden, eine verhaßte Gesellschaft, die nun im Faschismus ihr wahres, greuliches Gesicht enthüllte, zu betrügen und zu brüskieren – was für eine bezaubernde Vorstellung! Mehrere Tage lang war Hendrik ganz besessen von ihr. Vielleicht hätte er wirklich den ersten Schritt zu ihrer Realisierung getan und der dunklen Fürstentochter depeschiert – wenn nicht eine Nachricht bei ihm eingetroffen wäre, durch die seine Situation mit einem Schlage verändert wurde!
    Der bedeutungsvolle Brief war von der kleinen Angelika Siebert – wer hätte gedacht, daß gerade sie, die von Hendrik stets grausam-hochmütig übersehen worden war, noch einmal eine so entscheidende Funktion in seinem Leben haben sollte! Wie lange hatte Höfgen nicht an die kleine Siebert gedacht, und da er nun versuchte, sich ihr Antlitz vorzustellen – dieses liebenswürdige und ängstliche Gesichtchen eines dreizehnjährigen Buben, mit den kurzsichtigen zusammengekniffenen, hellen Augen – kam ihm vor, als ob es immer tränenüberströmt gewesen wäre. Hatte die kleine Angelika nicht beinah unaufhörlich geweint? Und hatte man ihr nicht recht häufig Anlaß zum Weinen gegeben? Hendrik erinnerte sich sehr wohl, wie gemein er sie meistens behandelt hatte … Ihr eigensinnig-zärtliches Herz aber war ihm, trotz allem, treu geblieben. Darüber war Hendrik verwundert. Aus guten Gründen – indem er nämlich von sich auf die anderen schloß – rechnete er stets mit der selbstsüchtigen Infamie seiner Mitmenschen. Die gute Handlung, die brave und zärtliche Tat machte ihn fassungslos. In seinem öden Hotelzimmer, dessen Wände und Möbel er schon so gut kannte, daß er sie zu hassen und zu

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