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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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wie die meisten Menschen mit Zahnarztbesuchen – nur wenn es unbedingt nötig war.
    Deshalb musste ich am 21., meinem sechzehnten Geburtstag, wie immer zum Unterricht, denn meine Eltern erlaubten mir nicht zu schwänzen. Also war es für mich ein ganz normaler Tag. »Normal« bedeutete für mich solche Magenschmerzen, dass ich die Pastillen gegen Übersäuerung rollenweise futterte und stets Kopfschmerztabletten bei mir hatte. Außerdem benutzte ich täglich Augentropfen, um einen klaren Blick zu behalten, da mir sonst die Augen einer Schwerstalkoholikerin aus dem Spiegel entgegenschauten. In meinem Spind in der Schule hatte ich einen Vorrat an Pflastern und Stützbandagen gebunkert.
    Ich bewältigte meinen Alltag. Ich lernte für Prüfungen und erhielt die Fassade aufrecht. Doch ich hatte eine Pause bitter nötig. Zeit zum Ausschlafen. Zeit, zu viel zu essen. Zeit, endlich meine Nägel mit Glitzer zu lackieren. Zeit, einmal nicht Theater zu spielen und nur ich selbst zu sein,auch wenn es ohnehin niemandem auffiel. Zeit, mir wieder einmal die Haare zu färben – derzeit so aufdringlich rot wie Tomatensaft. Ich hielt Schwarz für die passende Farbe, um das neue Jahr zu begrüßen. Es deckte sich mit meiner Stimmung. Außerdem hatte ich mir ein paar neue DVDs gekauft, die ich mir anschauen wollte. In den Filmen ging es um Mädchen in meinem Alter, die sich verliebten, Freundinnen hatten und absolut stink normal waren.
    Ich steckte die vorgeschriebene weiße Baumwollbluse in meinen ordentlichen karierten Faltenrock. Dann trug ich dick schwarzen Eyeliner und drei Schichten Wimperntusche auf – sozusagen als Ergänzung zu meinen dunklen Augenringen – und griff zu einem farblosen Lipgloss. Anschließend schlüpfte ich in die blickdichte Strumpfhose, mit der ich die Kleidungsvorschriften bis zum Äußersten ausreizte. Eigentlich hatte ich nichts gegen Uniformen, da ich darin ausnahmsweise wie ein Mitglied einer Gruppe wirkte. Allerdings gefiel ich mir als Lolita überhaupt nicht. Dann starrte ich in den Spiegel, in der Hoffnung, dort Antworten zu finden. Ich sehnte mich nach einer Lösung für mein Leben.
    Das Telefon läutete, erst ein, dann zwei Mal. Ich warf meine Zahnbürste ins Waschbecken und ging an den Apparat im Flur. Obwohl der Anruf nie für mich war, hob ich stets ab. Es hätte ja sein können.
    »Hallo?«
    Schweigen. Atmen. Gemurmel.
    »Hallo?«, wiederholte ich.
    Mom erschien oben an der Treppe. »Wer ist es?« Die tiefen Sorgenfalten auf ihrem Gesicht ließen sie älter erscheinen.
    Achselzuckend schaute ich sie an und schüttelte den Kopf. »Hallo?«
    Mom riss das Telefonkabel aus der Wand. Sie atmete schnell, ein wilder Blick zeichnete sich in ihren Augen ab, und sie war plötzlich blass geworden.
    Dad hastete, offenbar ebenso erschrocken, die Treppe hinauf. »Wieder einer?«
    Die Finger noch um das Telefonkabel gekrallt, zog Mom mich fest in ihre Arme. Was zum Teufel war da los?
    »Was ist passiert?« Ich ließ mich von ihr umarmen, während sie nach Luft rang. Mein Dad streichelte mir das Haar. In den letzten fünf Jahren hatten sie mich nur angefasst, wenn ich einen Unfall hatte oder die Umstände es erforderten. Und jetzt wollten sie mich gar nicht mehr loslassen.
    »Es hat angefangen.« Dad wich als Erster zurück.
    »Was hat angefangen?« Ich machte mich los. Unten läutete wieder das Telefon.
    »Wir sprechen nach der Schule darüber. Du hast heute eine wichtige Klausur.« Moms Gesichtsausdruck war unübersehbar entschlossen.
    Dad massierte ihr Schultern und Nacken wie immer, wenn sie sich aufgeregt hatte. »Ich finde, wir sollten …«
    »Nein, noch nicht. Noch nicht«, erwiderte Mom im Singsangton.
    »Was wird hier gespielt?« Ich spürte, wie Angst mir den Rücken hinunterkroch.
    »Rosie …« Dad umfasste Moms Wange mit einer Hand und streckte die andere nach mir aus.
    »Nach der Schule«, beharrte Mom. »Sei heute vorsichtig. Ich meine, ganz besonders vorsichtig.«
    »Wollt ihr mir denn nicht verraten, warum?«, fragte ich. »Hat es etwas mit meinem sechzehnten Geburtstag zu tun? Mit dem Führerschein kann ich noch ein paar Monate warten. Das heißt, ich würde schon gerne Auto fahren, aber wenn ihr euch deshalb solche Sorgen macht, können wir ja noch mal darüber reden.«
    Kopfschüttelnd strich Mom mir übers Haar. »Nach der Schule.«
    Ich zuckte mit den Achseln und sah meinen Vater hilfesuchend an. Aber seine Miene sagte mir, dass er sich an die Regeln halten würde. »Oder geht es um

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