Merlin - Wie alles begann
VORWORT DES AUTORS
I ch weiß nicht viel über Zauberer, aber eins habe ich gelernt: Sie sind voller Überraschungen.
Als ich
The Merlin Effect
geschrieben hatte, einen Roman, der einem einzigen Strang der Artuslegende von den Zeiten der alten Druiden bis fast zum Anbruch
des einundzwanzigsten Jahrhunderts folgt, erkannte ich: Der Strang hatte mich so gefesselt, dass ich ihm nicht entfliehen
konnte. Ich zog daran und er zog zurück. Ich entwirrte ihn und er umgarnte mich völlig.
Dieser Strang war Merlin selbst. Er ist ein geheimnisvoller und fesselnder Bursche, dieser Zauberer, der in der Zeit rückwärts
leben kann, der es wagt, dem dreifaltigen Tod zu trotzen, der den Heiligen Gral sucht und zugleich mit den Geistern der Flüsse
und Bäume redet. Mir wurde klar, dass ich ihn besser kennen lernen wollte.
Moderne Wissenschaftler haben die Möglichkeit erörtert, dass der Merlin-Mythos auf eine historische Figur zurückgehen könnte,
einen Druidenpropheten, der im sechsten Jahrhundert nach Christus irgendwo in Wales lebte. Aber das ist Diskussionsstoff für
Historiker. Denn ob nun Merlin im Reich der Geschichte je existiert hat oder nicht, im Reich der Fantasie existiert er zweifellos.
Dort hat er schon lange gelebt und dort lebt er munter weiter. Gelegentlich empfängt er sogar Besucher. Und weil ich ein Werk
der Fantasie schreiben wollte, nicht der Geschichte, stand mir Merlins Tür weit offen.
Bevor ich noch zum Protest ansetzen konnte, hatte Merlin seine eigenen Pläne für mich gemacht. Meine anderen Bücher und Projekte
mussten warten. Es war an der Zeit, einen weiteren Aspekt seiner Legende zu erkunden, einen, der den Magier ganz persönlich
betraf. Ich fürchtete, dass es mir ergehen würde wie meistens im Leben: Je mehr ich über Merlin erfuhr, umso weniger würde
ich wirklich wissen. Und natürlich war mir von Anfang an bewusst, dass selbst ein kleiner Beitrag zu einem so wunderbaren
Mythos eine einschüchternde Herausforderung sein würde. Aber Neugier kann ein mächtiger Antrieb sein. Und Merlin war hartnäckig.
Dann kam die erste Überraschung des Zauberers. Während ich mich in die traditionellen Geschichten über Merlin vertiefte, stieß
ich auf eine unerklärte Lücke in der Überlieferung. Merlins Jugend – die kritische, prägende Zeit, in der er höchstwahrscheinlich
seine umschattete Herkunft entdeckte, seine Identität und seine Kräfte – wurde, wenn überhaupt, nur flüchtig erwähnt. Wo er
zuerst Kummer empfand, wo er zuerst Freude erfuhr, wo er zuerst ein oder zwei Körnchen Weisheit gewann, blieb im Verborgen.
Die meisten überlieferten Erzählungen haben den gleichen Ansatz wie Thomas Malory und übergehen Merlins frühe Jahre völlig.
Einige Geschichten erzählen von seiner Geburt, seiner gepeinigten Mutter, seinem unbekannten Vater und ihm selbst als frühreifem
Kleinkind. (In einem Bericht verteidigt er in fließender Rede seine Mutter, als er erst ein Jahr alt ist.) Dann hören wir
nichts mehr von ihm – bis er, wesentlich älter, dabei angetroffen wird, wie er dem hinterhältigen König Vortigern das Geheimnis
derkämpfenden Drachen erklärt. Dazwischen klafft eine Lücke von mehreren Jahren. Vielleicht wanderte er, wie einige vermuteten,
in diesen Jahren, die in der Legende verloren gingen, einsam durch die Wälder. Oder vielleicht, nur vielleicht . . . war er
anderswo unterwegs.
Diese Lücke in Merlins Biografie steht in starkem Gegensatz zu dem reichen Material über seine späteren Jahre. Als Erwachsener
nimmt er viele (zuweilen unvereinbare) Gestalten an, er wird abwechselnd als Prophet, Magier, Wahnsinniger der Wälder, Schwindler,
Priester, Seher und Barde beschrieben. Er taucht in einigen der frühesten Mythen des keltischen Britanniens auf, von denen
manche so alt sind, dass ihr Ursprung schon dunkel war, als die großen walisischen Epen der
Mabinogion
(Sagenerzählungen) vor rund tausend Jahren zum ersten Mal niedergeschrieben wurden. In Spensers
Faerie Queene
und in Ariostos
Orlando Furioso
ist Merlin gegenwärtig. In Malorys
Morte d’Arthur
berät er den jungen König, in Robert de Borons Gedicht
Merlin
aus dem zwölften Jahrhundert richtet er die Steine von Stonehenge auf, in Geoffrey von Monmouths
Historia Regnum Brittaniae
erscheint er als Prophet.
In neuerer Zeit haben sich so unterschiedliche Schriftsteller wie Shakespeare, Tennyson, Thomas Hardy, T. H. White, Mary Stewart, C. S. Lewis, Nikolai
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