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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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wirklich!«
    »Das ist blöde.«
    »Nein, ist es nicht.«
    »Ja, ist es. Leute hassen ist blöde.« Sie suchte
nach dem Wort ihres Vaters. »Kontraproduktiv.«
    »Nicht, wenn es einen Grund dafür gibt.«
    »Was für einen Grund?« Sein Grund war, daß er
Mama haßte. Sie durfte es ihn nicht aussprechen lassen.
»Du hast keinen Grund. Was für einen Grund,
Danno?«
    Er fuhr herum und ging weiter, rascher als zuvor. Mr. Barendt
hatte gesagt, er wäre zehn Jahre alt und damit alt genug, um es
zu wissen. Harri war erst sechs.
    »Was für einen Grund?«
    Er sollte es ihr nicht sagen. Die Straße kippte den
Hügel hinab, und er beschleunigte den Schritt.
    Harriet lief jetzt und rief hinter ihm her: »Du hast keinen
Grund! Du bist blöde. Du hast keinen Grund!«
    Sie hetzte ihn, aber sie wurde ebenfalls verfolgt: von dem kleinen
Jungen, von ihrer Traurigkeit. Sie waren wie Wasser, das eine Gosse
hinabläuft, dachte sie. Nichts konnte sie aufhalten. Die
Straße wurde steiler, sie mündete auf ihrem Weg hinab zum
Town Quay in einem Winkel in die Harbour Street. Als Harriet um die
Ecke bog, wobei sie auf den Steinen ausrutschte, sah sie Daniel
draußen vor dem Spielzeuggeschäft stehen und
hineinblicken. Das Geschäft war stufenförmig in den
Hügel gebaut, das eine Ende seines Schaufensters lag auf der
Ebene des Bürgersteigs, das andere Ende oberhalb seines
Kopfs.
    Gerade war Ausverkauf: Gewehre und Kriegsspielzeug zum halben
Preis.
    Sie trat zu ihm, außer Atem. »Was für einen Grund,
Danno?«
    »Halt’s Maul! Du bist so langweilig.«
    Es war Mamas schlimmster Vorwurf. Er sah sie noch nicht einmal an.
Sie schrumpfte in sich zusammen. Er legte die hohlen Hände an
die Augen und spähte durch die Scheibe. In ein paar Wochen hatte
er Geburtstag, und er wußte noch nicht, was er sich
wünschte. Harriet lehnte sich an ihn. Sie legte ihren Arm auf
den seinen und machte sich dann am elektronischen Schnappschloß
seines Tornisters zu schaffen. Es hatte Knöpfe, die man in der
richtigen Reihenfolge drücken mußte.
    Daniel setzte zu einer Erklärung an. Er wußte den Grund
hierfür nicht. Er hatte sich doch dagegen entschieden. Er hielt
inne. Ihm war die Kehle wie zugeschnürt, also räusperte er
sich und versuchte es erneut. »Fragst du dich eigentlich nie,
warum es keine Jungens-Babies gibt?«
    Harriet war verwirrt. »Natürlich gibt es
welche.«
    »Zeig mir eins!« Sie wirkte sich so gewiß,
daß er einen Augenblick lang zweifelte. »Los, mach schon,
zeig mir eins!«
    »Wie kann ich das?«
    Er blickte sich um. Eine Frau kam den Hügel herauf, sie hatte
ein Baby in einem Tragegurt um den Hals. »Komm schon.« Er
zog Harriet hinter sich her. »Entschuldigen Sie –
können Sie mir bitte sagen, wie Ihr Baby heißt?«
    Die Frau sah amüsiert auf ihn herab. Der Name ihres Babies
war Mai. Ein weiteres Baby kam aus einem Geschäft auf der
anderen Straßenseite. Daniel fragte dessen Mutter – der
Name lautete Frieda.
    »Komm schon!« Er wollte Harriet den Hügel
hinabziehen. Sie sträubte sich. Er brachte sie zum Weinen.
    »Warum gibt es keine Jungen-Babies, Danno?«
    Er sah sich nach ihr um. Was war sie für ein kleines Kind!
»Ich habe Hunger«, sagte er. »Laufen wir nach
Hause!«
    Sie rannten die Harbour Street hinab, wobei ihre Beine nur so
flogen, um die Neigung auszugleichen. Es ging um die Ecke, an der
Jahrtausend-Uhr am Eingang zum Town Quay vorüber und gleich
hinein in die Promenade, wo sie wohnten. Sie konnte nicht gewinnen,
aber er ließ sie dicht hinter sich bleiben. Während sie
ungeduldig umherhüpfte, schloß er die Tür auf. Wenn
sie noch ein wenig weiter gerannt wären, wären sie im Hafen
gelandet.
    Im Kühlschrank waren Milch und ihr gelber Lieblingskäse.
Sie legten ihn auf Knäckebrot und strichen Erdbeermarmelade
darüber. Sie waren noch immer außer Atem, sie
stießen tolpatschig gegen Dinge und konnten Arme und Beine
nicht stillhalten. Memphis hörte sie und kam von seinem
Plätzchen auf dem Wohnzimmersofa herabgeschlichen. Harriet gab
ihm eine Messerspitze von dem Käse, den er so gern mochte, auf
den Teller, damit er ihn aufschlecken konnte.
    »Ich weiß, warum es keine Jungens-Babies gibt«,
sagte sie freudig. Ihr war’s jäh klargeworden. »Es ist
derselbe Grund, weshalb es keine Jungens in meiner Klasse
gibt.«
    Daniel war entsetzt. Er saß sehr still da, spürte ein
Kribbeln im Nacken. Sie gab einfach nie auf. »Sag’s
nicht!« Er hatte das Gefühl, daß es um so furchtbarer
wäre, wenn sie es

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