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VT09 - Die tödliche Woge

VT09 - Die tödliche Woge

Titel: VT09 - Die tödliche Woge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Vandis
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Er hörte die Schreie.
    Todesschreie.
    Sie verursachten ihm ein Ziehen am Hinterkopf. Seine Eingeweide wurden kalt vor Angst. Der Mann, der sich
    »Niemand« nannte, hockte in seinem Unterschlupf – in Sicherheit, weit weg von dem unterirdischen See und Maman, die darin herrschte – und dachte darüber nach, ob er sich richtig verhalten hatte. Ob es richtig gewesen war, die Verräter an das Wasser zu führen, wo sie der Tod in Gestalt von Maman erwartete.
    Aber ja doch. Natürlich war es richtig gewesen! Die Menschen waren böse. Sie hatten ihn beschimpft und über ihn gelacht. Sie hatten ihm eine Ahmbruhst versprochen, aber dieses Versprechen am Ende nicht halten wollen. Sie hatten ihn betrogen. [1] Er runzelte die Stirn und dachte über den Hass nach, der ihn niederdrückte wie ein Fels. Er strich sich über den Kopf, kratzte sich an der handtellergroßen, eingedellten Stelle, an der die Narbe einer schlecht verheilten Wunde zwischen den spärlichen Haaren hervorlugte.
    Böse Stelle. Böse Stelle.
    Die Stelle schmerzte, seit er denken konnte. Er konnte doch denken, oder…? Er war sich nicht sicher. Manchmal kam es ihm so vor, als ob etwas mit ihm geschehen wäre, früher, in ferner Vergangenheit. Etwas, das ihn verändert hatte. Das ihn zu dem gemacht hatte, was er heute war. Zu einem ausgemergelten Etwas, das in dem lichtlosen Labyrinth unter der Großen Grube vor sich hinvegetierte.
    Einem Niemand.
    Den Namen hatte er sich selbst gegeben, irgendwann vor langer Zeit, um sich nicht selbst zu verlieren in der Finsternis.
    Er schlug sich mit der Faust auf die vernarbte Wunde und stieß einen gequälten Seufzer aus.
    Immer wenn er so weit zurückdachte, überkam ihn der Groll. Dann spürte er eine grenzenlose Wut in sich, die nur noch von dem Schmerz überdeckt werden konnte, der bei jedem Fausthieb aufzuckte. Niemand schlug sich wieder und wieder, bis er erschöpft auf dem felsigen Boden liegen blieb.
    Sie haben den Tod verdient, hämmerte es hinter seiner Stirn, denn sie sind wie ER.
    Er versuchte sich an SEINEN Namen zu erinnern. Wie hatte er ihn nur vergessen können, den Namen dieses schrecklichen, furchtbaren Mannes, dem er all das hier zu verdanken hatte!
    Die Wut brachte ihn dazu, sich zu entsinnen. Ein schattenhaftes Bild wurde vor seinem geistigen Auge lebendig, flüchtig wie ein Windhauch, und Niemand sah sich selbst, wie er nicht durch ein finsteres Labyrinth stolperte, sondern aufrecht und stolz durch die Straßen einer Stadt ging – einer Stadt aus Holz und Tuch, die von riesigen Ballons am Himmel gehalten wurde…
    Das Bild zerriss, und zurück blieb die Dunkelheit. Seit Jahren lebte Niemand in ihr, lebte mit ihr, umgeben von nichts anderem als Fels, Feuchtigkeit und Kälte.
    Und Maman, seit kurzem erst. Das riesige Wesen aus dem See, das jeder andere als Monster bezeichnet hätte. Er wusste, dass das nicht stimmte. Maman war kein Monster. Sie war eine Mutter.
    Dabei hatte es zunächst eine andere Maman gegeben. Sie lebte im Labyrinth, wo ihr riesiger Wurmkörper seit Jahren zwischen den Felsen eingeklemmt gewesen war. Ein alter Mann namens Aksama hatte sie mit Nahrung versorgt, wie Niemand von Ferne beobachtete, und der Woorm, den er Iinz nannte, hatte Nachwuchs geboren. Viele Junge, von denen die meisten im Labyrinth verschwanden, während andere von den Grauhäutigen gefressen wurden, die in den letzten Wochen vermehrt im Labyrinth aufgetaucht waren. [2]
    Das erste Mal waren die Grauen nach dem Beben erschienen, das durch den Berg gerollt war. Tagelang hatte der Geruch von Schwefel die Felsengänge erfüllt. Immer wieder knurrte und brummte der Berg, und der Boden zitterte unter Niemands nackten Füßen. Er hatte sich gefragt, ob dies das Ende war, und aus Angst war er zu Maman geflohen – nur um mit anzusehen, wie sie durch die Hand eines Fremden starb, der Maman und Aksama aufgelauert und beide getötet hatte.
    Und dann war das Wunder geschehen. Im Augenblick des Todes hatte Maman noch ein letztes Junges geboren, das den Ort eilig verlassen hatte. Eine Nachfolgerin.
    Eine zweite Maman.
    Niemand folgte ihrem Weg und wurde gewahr, wie sie sich von den Grauhäutigen ernährte und dabei stetig größer und stärker wurde.
    Niemand hatte kein Mitleid mit den Grauhäutigen. Sie waren nicht wie ER, aber sie waren nicht weniger gefährlich.
    Sie hatten Niemand zu töten versucht, aber er war schneller als sie und konnte ihnen entkommen. Einige von ihnen hatte er im Laufe der letzten Tage getötet –

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