Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
Es fiel dem Vrykyl Jedash einigermaßen leicht, die beiden Pecwae zu beschatten, denn die Großmutter und ihr Enkel bewegten sich langsam und blieben häufig stehen, um sich die erstaunlichen Dinge anzusehen, die Neu-Vinnengael zu bieten hatte.
Eine Straße mit Gebäuden, welche so hoch waren wie Riesen – ganze drei Stockwerke, eins auf dem anderen! –, verblüffte die kleinwüchsigen Pecwae, die für gewöhnlich im Wald lebten. Die beiden verbrachten eine ganze Viertelstunde damit, dieses Wunder anzustarren. Die bunt bemalten Schilder der Gildenwerkstätten und Bierhäuser waren ohnehin dazu gedacht, Aufmerksamkeit zu erregen, und sie entzückten die Pecwae mit ihren grellen Farben und seltsamen Abbildungen von Tieren, Gegenständen und Personen. Das tanzende Schwein, der Hahn mit Hut, die Mitra, die das Zeichen des Bierhauses Zum Bischof war, ließen die Pecwae entweder den Kopf schütteln (das Schwein, das vernünftig tanzen würde, war noch nicht geboren) oder entlockten ihnen ein Lachen.
Die beiden ahnten nicht, dass sie verfolgt wurden. Sie glaubten, der Gefahr entronnen zu sein. Sobald die Königliche Wache in Sicht gekommen war und sich die allgemeine Aufmerksamkeit ihren Reisegefährten zuwandte, veranlasste sie der Selbsterhaltungsinstinkt, welcher dieses kleine Volk in einer Welt voller beutegieriger Wesen schon so lange am Leben erhalten hatte, zur Flucht. Ihre Begleiter, darunter auch Baron Shadamehr und ihr Trevinici-Beschützer Jessan, waren festgenommen worden. Da die Wache keine Befehle bezüglich irgendwelcher Pecwae hatte, hatte sie die beiden nicht weiter beachtet. Auch Jedash hatte keine solchen Befehle erhalten, aber er hatte die beiden gemeinsam mit einem Trevinici eintreffen sehen und sich daran erinnert, dass Shakur, ein anderer Vrykyl, nach einem Trevinici gesucht hatte, welcher zusammen mit zwei Pecwae unterwegs war. Er hatte Shakur also sofort Bericht erstattet und sich persönlich aufgemacht, um die Großmutter und Bashae zu verfolgen. Shakur hatte Jedash durch das Blutmesser mitgeteilt, er solle sich die beiden Pecwae schnappen und sie in den Palast von Neu-Vinnengael bringen, denn genau dort hielt sich Shakur nun auf, nachdem er den jungen König umgebracht und seinen Körper übernommen hatte.
Die Frage war nur, wie Jedash sich der beiden bemächtigen sollte, ohne dass jemand es bemerkte. Und was noch schlimmer war: Er war nicht der Einzige, der Großmutter und Enkel verfolgte.
Die beiden Pecwae, die durch die Straßen von NeuVinnengael schlenderten, erregten nämlich beträchtliche Aufmerksamkeit, und noch dazu nicht immer wohlwollende. Der männliche Pecwae maß etwa vier Fuß und hatte eine schlanke Gestalt, große Augen und ein fröhliches Lächeln, und man hatte ihm die Kleidung eines Menschenkinds angezogen und ihm eine Mütze aufgesetzt, um die spitzen Ohren zu verbergen. Die alte Frau jedoch hatte es abgelehnt, sich zu verkleiden. Sie war ebenfalls klein, aber ihr Haar war grau und ihr Gesicht so braun und faltig wie eine Walnuss, und sie starrte allen, denen sie begegnete, direkt in die Augen. Ihr langer, bunter Rock mit den unzähligen aufgenähten Perlen und Glöckchen klingelte und klickte um ihre Fußgelenke, und schon der Stock, auf den sie sich stützte, war eine Kuriosität für sich. Er bestand aus Holz mit Unmengen von Astlöchern, in denen jeweils ein polierter Achat auf solche Weise eingesetzt war, dass er an ein starrendes Auge erinnerte.
Die meisten Bürger, die stehen blieben, um die Pecwae anzustarren und mit dem Finger auf sie zu deuten, waren einfach nur neugierig, glotzten die seltsam aussehenden kleinen Leute einen Augenblick an und gingen dann weiter. Aber andere hatten ein eindeutig materielles Interesse.
In vergangenen Jahrzehnten war es bei den Reichen von NeuVinnengael Mode gewesen, sich Pecwae wie Schoßtiere zu halten. Händler stahlen Pecwaekinder aus dem Wald, brachten sie in die Stadt und verkauften sie dort auf dem Marktplatz. Die Reichen stellten sie wie Kuriositäten aus oder hielten sie sich zum Zeitvertreib, zogen sie an wie Puppen und redeten mit ihnen, als wären sie Hunde. Viele Pecwae, die die Stadt und die Gefangenschaft nicht ertragen hatten, waren krank geworden und gestorben, und schließlich hatte die Kirche den Handel mit Angehörigen dieses Volks verboten. Der Handel mit Pecwae verstieß fortan gegen das Gesetz und galt als Verbrechen, das sogar mit dem Tode bestraft werden konnte.
Die Leute fanden jedoch Möglichkeiten,
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