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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Käfig
mit wilden Tieren darin, und er war sich hinterher gewiß,
daß sie ihn umgebracht hätte, wenn nicht sein Vater in
jenem Augenblick die Stufen herabgekommen wäre.
    »Hee, ihr! Hee – ich konnte euch Bande schon
draußen auf der Straße hören!«
    Es benötigte mehr als Papas Hee, ihr, um ihr Einhalt
zu gebieten. Papa mußte von hinten den Arm um sie legen und
nach einem Stuhl tasten und sich darauf niederlassen und sie auf
eines seiner Knie setzen und Harri auf das andere. Dort hielt er sie
fest, die Arme um beide gelegt. Erst dann zitterte die Küche
nicht mehr in stechend grellen Lichtblitzen. Und dann hatte er von
ihr zu hören, von jener Frau, was sein Sohn getan hatte.
    Entweder du tust etwas, oder du läßt es bleiben, dachte
Danno. Bereue es niemals.
    »Ich nehme an, du hast deine Schwester verstören
wollen.«
    Er nickte.
    »Verstören, Johan? Das kleine Ungeheuer hat sie
vernichten wollen!«
    »Das hättest du nicht tun sollen, Danno. Aber das
weißt du eigentlich selbst.«
    Er nickte erneut.
    »Allmächtiger Christus, ich glaub’s nicht! Mehr
willst du nicht sagen?«
    »Du hast etwas schlimm mißverstanden, Danno. Niemand
bringt Babies um. Dein Lehrer hätte das niemals gesagt. Niemand
bringt Babies um. Du mußt mir glauben.«
    Sein Nicken war voller Zweifel.
    »Geh jetzt auf dein Zimmer! Ich komme später. Du bist
sehr grausam und dumm gewesen. Aber denke einfach daran, daß du
etwas mißverstanden hast, Danno. Kinder tun so etwas. Es ist
nicht deine Schuld. Denk einfach dran – niemand bringt Babies
um.«
    Daniel ging um sie herum, drückte sich zur Seite und
verließ den Raum. Er stieg das Treppenhaus hinauf, wobei ihm
das Schweigen in den Ohren sang. Niemand brachte Babies um.
Vielleicht nicht. Jene Frau hätte ihn umgebracht, aber er war
kein Baby. Harri war jedoch ein Baby, wie sie dort als Häufchen
Elend auf Papas Knie hockte. Bald würde Papa hinter ihm
herkommen und über ihn herfallen. Christus, wie er Frauen
haßte! Er haßte Frauen, am allermeisten jedoch
haßte er jene eine.
    Und in der Küche setzte sich Harriets Leben, das scheinbar in
Fetzen gerissen worden war, allmählich wieder zusammen. Die
Dinge präsentierten sich nicht mehr länger in Fragmenten:
eine Tischkante, der Ärmel eines gelben Overalls, Dannos fest
geschlossene Augen. Sie blickte sich nach Memphis um, aber er hatte
sich klugerweise verzogen. Papa redete mit ihr.
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe. Danno hat das
mißverstanden. Niemand bringt Babies um. Es ist weitaus
komplizierter. Aber er hat recht, daß es keinen weiteren
kleinen Jungen mehr gibt. Nicht hierzulande, nicht irgendwo auf der
Welt.« Er hob die Hand, um ihr die Wange zu streicheln.
»Die winzigen Samen, Harri – winziger als Sandkörnchen
–, die Samen, die in ihren Müttern zu Jungen-Babies
heranwachsen würden, die schaffen es einfach nicht. Sie sind
krank, oder vielleicht sind ihre Mütter krank, das hat etwas mit
dem Immunsystem zu tun, wir wissen es einfach nicht. Es ist eine
Seuche, siehst du – vielleicht etwas in der Luft, weshalb wir
jetzt so vorsichtig sind mit Bomben, Rauch und solchen Sachen –
und es hat vor zehn Jahren angefangen, und wir nennen es MERS. Du
bist noch nicht alt genug, um das jetzt schon zu verstehen, aber das
bedeutet ›Male Embryo Rejection Syndrome‹,
›Männlichen-Embryo- Abstoßungs-Syndrom‹. Es ist
sehr traurig, Harri, und wir werden eine Behandlung dafür
finden. Aber niemand bringt Jungen-Babies um. Sie kommen einfach
nicht vor. Mädchen-Babies ja, aber…«
    Mama nahm eine von Harriets Händen, suchte die andere und
hielt beide zusammen. »Was dir dein Vater nicht sagt,
Schätzchen, ist, daß das alles Teil von Gottes wunderbarem
Plan ist. Ihm Etiketten aufzukleben, es eine Seuche zu nennen und
über Behandlungen zu sprechen, wird daran nichts ändern.
Gott die Mutter hat die Welt Hunderte und Tausende von Jahren
beobachtet, und Sie hat gesehen, wie gemein und böse Männer
sind und was sie Ihrem Sohn Jesus angetan haben, und jetzt hat Sie
entschieden, die Dinge auszugleichen. In Ihrer Gnade hat Sie uns
diesen Bevölkerungsrückgang gesandt. Uns gefällt es
vielleicht nicht, aber Ihr Wille wird geschehen. Das verstehst du
doch gewiß. Die Welt wird ein völlig anderer Ort werden,
Harri…«
    Harriet blickte auf ihre Hände, die in den Händen ihrer
Mutter zusammengefaltet lagen. Es war sehr einfach. Seuchen waren da,
daß man sie heilte, und wenn sie groß wurde – dazu
hatte sie sich

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