Meteor
Natur nicht verleugnen.« Sexton ließ gedankenschwer den Kopf hängen wie ein Mann, dem die Geschichte eine unmögliche Entscheidung abfordert. »Die Wahrheit ist nun mal die Wahrheit. Ich werde Ihrer Interpretation dieses Materials in keiner Weise vorgreifen. Deshalb werde ich es Ihnen ohne jede weitere Bemerkung oder Bewertung übergeben.«
Sexton hörte näher kommendes Rotorengeräusch. Einen Moment lang fragte er sich, ob der Präsident vielleicht in Panik aus dem Weißen Haus herbeigeflogen kam, um die Pressekonferenz in letzter Sekunde zu verhindern. Das wäre der Schlag Sahne obendrauf, dachte Sexton hoffnungsfroh.
»Sie dürfen mir glauben, dass mir das Ganze kein Vergnügen macht«, fuhr er fort. Er spürte, dass sein Timing nicht besser hätte sein können. »Ich halte es jedoch für meine Pflicht, das amerikanische Volk darüber aufzuklären, dass es belogen wurde.«
Ein Flugzeug schwebte ein und setzte auf der rechter Hand gelegenen Promenade auf. Sexton registrierte überrascht, dass es nicht der Präsidentenhelikopter war, sondern ein großes Osprey-Schwenkflügelflugzeug mit der Aufschrift »United States Coast Guard« am Rumpf.
Sexton sah die Kabinentür aufgehen und eine Frau in einem orangenen Küstenwachtparka aussteigen. Sie sah mitgenommen aus, als käme sie direkt aus dem Krieg. Die Frau ging auf das Podium zu. Sexton erkannte sie anfangs nicht, doch plötzlich ging ihm ein Licht auf.
Rachel? Die Kinnlade fiel ihm herunter.
Irritiertes Gemurmel erhob sich in der Menge.
Sexton rang sich ein Lächeln ab. Er wandte sich wieder den Presseleuten zu und hob um Nachsicht bittend die Hände. »Wären Sie so nett, mich für meine Tochter eine Sekunde zu entschuldigen? Es tut mir furchtbar Leid.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Aber die Familie kommt zuerst.«
Aus dem Publikum kamen ein paar Lacher.
Sexton sah seine Tochter entschlossen von rechts heranschreiten. Er hatte den Eindruck, dass diese Vater-Tochter-Wiederbegegnung am besten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollte. Leider war das zum gegebenen Zeitpunkt schwierig. Sextons Blick huschte zu der großen Stellwand zu seiner Rechten.
Immer noch mit einem Lächeln im Gesicht winkte Sexton seiner Tochter und trat vom Mikrofon zurück. Hinter der Stellwand, vor den Augen und Ohren der Medien verborgen, ging er ihr ein kleines Stück entgegen. Sie trafen sich auf halber Strecke.
Sexton öffnete lächelnd die Arme. »Liebling!«, sagte er, »was für eine Überraschung!«
Rachel trat zu ihm und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
Rachel musterte ihren Vater mit verächtlichen Blicken. Bei ihrer Ohrfeige hatte er kaum mit der Wimper gezuckt. Sein falsches Lächeln wich einer finsteren Miene. »Was hast du hier zu suchen?«, zischte er empört.
Rachel sah ihm an, dass er wütend war. Zum ersten Mal in ihrem Leben fürchtete sie sich nicht vor ihm. »Ich habe mich an dich gewandt, weil ich Hilfe brauchte, aber du hast mich hängen lassen! Ich wäre fast umgebracht worden!«
»Aber du bist offensichtlich wohlauf.« Es klang beinahe enttäuscht.
»Die NASA ist unschuldig in die Sache hineingeraten«, sagte Rachel. »Das hat der Präsident dir doch gesagt! Was soll das hier alles?« Rachel hatte von Bord der Osprey auf ihrem kurzen Flug nach Washington eine ganze Reihe von Telefonaten geführt, mit dem Weißen Haus, mit ihrem Vater und sogar mit einer aufgelösten Gabrielle Ashe. »Du hast Zach Herney versprochen, ins Weiße Haus zu gehen.«
»Das werde ich auch.« Er grinste schief. »Am Tag nach der Wahl.«
Der Gedanke, dass dieser Mann ihr Vater war, verursachte Rachel Übelkeit. »Was du vorhast, ist Wahnsinn!«
»Ach ja?« Sexton lachte in sich hinein. Er wandte sich um und deutete auf die Umschläge, die auf dem Rednerpult lagen. »In diesen Umschlägen stecken die Unterlagen, die du mir geschickt hast. Ja, Rachel, du! Wenn einer von uns den Präsidenten auf dem Gewissen hat, bist du es!«
»Ich habe dir diese Unterlagen gefaxt, als ich dringend deine Hilfe brauchte und den Präsidenten und die NASA noch für die Verantwortlichen hielt!«
»Angesichts dieses Materials sieht die NASA keineswegs unschuldig aus.«
»Aber sie ist es! Sie hat es verdient, ihren Fehler selbst eingestehen zu können. Du hast die Wahl doch längst gewonnen!
Zach Herney ist am Ende! Das weißt du genau. Gönne ihm wenigstens einen Abgang in Würde!«
Sexton stöhnte. »Mein Gott, bist du naiv! Es geht doch längst nicht mehr
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