Meteor
Flüstern als fertige Lösungen wieder herauszukommen.
Als Rachel zum letzten Kontrollpunkt schritt, fragte sie sich, was so wichtig sein könnte, dass ihr Piepser sich in der letzten halben Stunde zweimal gemeldet hatte.
»Guten Morgen, Miss Sexton.« Der Wächter am stählernen Einlass hielt ihr lächelnd ein kleines Wattestäbchen entgegen.
»Sie wissen ja, wie es geht.« Rachel lächelte zurück.
Rachel nahm das hermetisch eingeschweißte Stäbchen, entfernte die Plastikhülle, steckte es wie ein Thermometer in den Mund und behielt es zwei Sekunden lang unter der Zunge. Sie beugte sich vor, damit der Wächter das Stäbchen herausnehmen und in einen Apparat einführen konnte. Binnen vier Sekunden hatte die Maschine die DNA von Rachels Speichel ermittelt. Auf einem Bildschirm erschienen Rachels Bild und ihre Zutrittserlaubnis.
Der Wächter zwinkerte. »Sieht so aus, als wären Sie immer noch Sie selbst.« Er zog das Wattestäbchen aus dem Apparat und warf es in die Öffnung eines anderen Geräts, wo es augenblicklich vernichtet wurde. »Schönen Tag noch.« Er drückte auf einen Knopf. Die stählernen Türflügel schwangen auf.
Auf dem Weg ins Labyrinth der belebten Flure registrierte Rachel wieder einmal mit Verwunderung, dass das schiere Ausmaß dieser Unternehmung ihr selbst nach sechsjähriger Tätigkeit noch großes Unbehagen bereitete. In dieser Behörde waren sechs amerikanische Einrichtungen zusammengefasst. Sie hatte mehr als zehntausend Beschäftigte und verschlang jedes Jahr einen Etat von zehn Milliarden Dollar.
Unter völliger Geheimhaltung hatte das NRO ein erstaunliches Arsenal von modernster Spionagetechnologie entwickelt und zum Einsatz gebracht: Globale elektronische Abhörsysteme, Spionagesatelliten, passive Relais-Chips zum Einbau in Telekommunikationsprodukte und sogar ein geheimes globales Netzwerk von mehr als tausend auf dem Meeresboden installierten Unterwassermikrofonen mit dem Spitznamen »Classic Wizard«, mit dem weltweit sämtliche Schiffsbewegungen verfolgt werden konnten.
Die Technologien des NRO hatten den Vereinigten Staaten nicht nur geholfen, kriegerische Auseinandersetzungen siegreich zu bestehen, sondern auch Organisationen wie der CIA, der NSA und dem Verteidigungsministerium einen endlosen Strom von Datenmaterial geliefert, mit dem Terroristen bekämpft, Umweltvergehen aufgespürt und Politikern Daten an die Hand gegeben werden konnten, die bei einer Unzahl von Themenbereichen für eine korrekte Entscheidungsfindung unabdingbar waren.
Rachels Job war das Destillieren von Daten. Beim Destillieren – dem Reduzieren der Daten auf das Wesentliche – wurden komplexe Berichte analysiert und in knappen Zusammenfassungen von einer Seite Länge auf den Punkt gebracht. Rachel hatte sich als Naturtalent erwiesen und in ihrer »Destillationsabteilung« inzwischen die höchste Position erklommen, die einer geheimdienstlichen Referentin fürs Weiße Haus. Sie war verantwortlich dafür, dass der Materialwust des NRO täglich durchgearbeitet und auf seine Relevanz für den Präsidenten überprüft wurde.
Aus den in Frage kommenden Berichten waren Kurzfassungen herauszufiltern und auf einer Seite niederzulegen sowie das zusammengefasste Material dem Nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten zuzuleiten. Im NRO-Jargon hieß Rachels Aufgabe »Endprodukterstellung und Kundenservice«.
Der Job war aufreibend und erforderte jede Menge Überstunden, doch Rachel empfand ihn als Auszeichnung; zudem garantierte er ihr Unabhängigkeit vom Vater. Senator Sexton hatte Rachel unzählige Mal seine Unterstützung angeboten, falls sie den Job aufgeben würde, doch sie hatte keinerlei Verlangen, sich von einem Mann wie Sedgewick Sexton finanziell abhängig zu machen. Ihre Mutter war das beste Beispiel dafür, was passieren konnte, wenn man einem solchen Mann zu viele Trümpfe überließ.
Das Geräusch von Rachels Piepser hallte im Marmorflur.
Schon wieder? Sie schenkte sich die Mühe, auf dem Display nachzusehen.
Während sie sich noch fragte, was los war, kam ihr Aufzug. Sie fuhr an ihrer Etage vorbei bis nach oben.
4
Den Direktor des NRO einen unauffälligen Mann zu nennen, wäre bereits eine Übertreibung gewesen. William Pickering war klein, kahlköpfig, mit fahler Haut und einem nichts sagenden Gesicht. Wenngleich seine haselnussbraunen Augen Einblick in die tiefsten Geheimnisse seines Landes genommen hatten, wirkten sie wie seichte Teiche. Ungeachtet davon wurde Pickering von
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