Meteor
von Delta-1 erklang ein scharfer Piepton. Er ertönte in exaktem zeitlichem Einklang mit dem Piepsen der Chronografen der beiden anderen Männer.
Wieder waren dreißig Minuten vergangen.
Es war so weit.
Wie auf Kommando trat Delta-1 nach draußen in die Dunkelheit und den peitschenden Wind. Mit einem Infrarotfeldstecher suchte er den mondbeschienenen Horizont ab. Er konzentrierte sich auf die Gebäude in einem Kilometer Entfernung – ein gewaltiger Komplex mitten im eisigen Ödland. Seit der Fertigstellung vor zehn Tagen hatte der Mann ihn mit seinem Team beobachtet. Für Delta-1 bestand kein Zweifel, dass sich dort Informationen befanden, die die Welt verändern würden. Der Schutz dieser Informationen hatte bereits Menschenleben gekostet.
In der Umgebung des Komplexes wirkte zurzeit alles ruhig.
Entscheidend jedoch war, was drinnen vorging.
Delta-1 trat wieder ins Zelt. »Zeit für einen Rundflug«, sagte er zu seinen beiden Kampfgefährten.
Die beiden nickten. Delta-2, der größere der beiden, klappte einen Laptop auf und schaltete ihn ein. Als das Programm hochgefahren war, nahm er einen Joystick zur Hand und tippte ihn an. In einem Kilometer Entfernung empfing ein Überwachungsroboter von der Größe einer Schmeißfliege das Signal und erwachte in seinem Versteck in den Eingeweiden des Gebäudes zum Leben.
3
Rachel Sexton kochte immer noch vor Zorn, als sie ihren weißen Integra den Leesburg Highway hinaufsteuerte. Das Filigran der kahlen Ahornbäume auf den Anhöhen von Falls Church hob sich vom kühlen Märzhimmel ab, doch die friedliche Umgebung trug wenig dazu bei, ihren Zorn zu dämpfen. Der jüngste Zugewinn in den Meinungsumfragen – für ihren Vater eigentlich ein Grund, mehr Würde und Selbstvertrauen zu zeigen –, hatte lediglich zu seiner Überheblichkeit beigetragen.
Sein Vertrauensbruch war für Rachel doppelt schmerzhaft.
Außer ihm hatte sie keine Blutsverwandten mehr. Der Tod der Mutter vor drei Jahren war für Rachel ein schrecklicher Verlust gewesen. Die Wunden waren immer noch nicht verheilt. Rachels einziger Trost lag in der Ironie, dass für ihre Mutter der Tod die Erlösung von der Verzweiflung über ihre katastrophale Ehe mit dem Senator bedeutet hatte.
Rachels Piepser meldete sich erneut und riss sie aus ihren Gedanken. An der Nachricht hatte sich nichts geändert:
– RPRT DIRNRO HQT –
Report beim Direktor des NRO im Hauptquartier. Rachel seufzte.
Immer mit der Ruhe, Leute, ich bin schon unterwegs!
Rachel nahm die übliche Ausfahrt, bog in eine Privatstraße ab und hielt an deren Ende vor dem waffenstarrenden Wachhäuschen. Sie befand sich vor Leesburg Highway Nr. 14.225, einer der geheimnisumwittertsten Adressen des Landes.
Während der Wachposten ihren Wagen auf Wanzen überprüfte, betrachtete Rachel das riesige Gebäude in der Ferne.
Der fast zehn Hektar große Gebäudekomplex thronte majestätisch in einem gut siebenundzwanzig Hektar großen Waldgebiet in Fairfax, Virginia, gleich außerhalb des Districts of Columbia, dem Territorium der Hauptstadt Washington. Die Fassade war eine Festung aus verspiegeltem Glas, das die vielen auf dem Gelände installierten Satellitenschüsseln und Antennenmasten reflektierte.
Rachel parkte den Wagen. An manikürten Rasenflächen vorbei ging sie zum Haupteingang, wo eine in Granit gehauene Schrift verkündete:
NATIONAL RECONNAISSANCE OFFICE (NRO)
Zwei Marinesoldaten flankierten die schusssichere Drehtür. Sie starrten geradeaus. Während Rachel zwischen ihnen hindurchging, befiel sie wieder das Gefühl, das sie stets an diesem Eingang überkam: das Gefühl sich in den Bauch eines schlafenden Riesen zu begeben.
In der Lobby mit der gewölbten Decke glaubte Rachel das ferne Echo gedämpfter Gespräche zu vernehmen, die wie ein Bodensatz von Worten aus den unzähligen Büros über ihr heruntersickerten. Ein riesiges Kachelmosaik verkündete den Wahlspruch des NRO:
WIR SICHERN DIE GLOBALE
INFORMATIONSÜBERLEGENHEIT DER USA
IM FRIEDEN WIE IM KRIEG.
An den Wänden reihten sich Fotos – Raketenstarts, Taufen von Unterseebooten, Einweihungen von Abhöreinrichtungen – , Bilder von geheimen Errungenschaften, die zu feiern nur innerhalb dieser Wände möglich war.
Wie stets spürte Rachel die Außenwelt mit ihren Problemen hinter sich zurückbleiben. Sie war im Begriff, eine Schattenwelt zu betreten – eine Welt, in die verschiedene Probleme mit dem Getöse von Güterzügen hineindonnerten, um mit kaum vernehmbarem
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