Metro2033
Lage - er musste sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Artjom duckte sich und stürzte los, das Sturmgewehr fest in der Hand. Er blickte sich mehrfach um. Wegen des Echos, das den Lärm der Schüsse über das gesamte Gewölbe der Station verteilte, war unklar, ob das Feuer aus dem rechten oder dem linken Tunnel kam.
Als er bereits ziemlich weit gelaufen war, riskierte er erneut einen Blick über die Schulter. In der Mündung des linken Tunnels erblickte er einige Gestalten in Tarnanzügen. Beim Anblick ihrer schwarzen Gesichter gefror ihm das Blut in den Adern - erst nach einigen Augenblicken kam ihm in den Sinn, dass die Schwarzen, die die WDNCh belagerten, keine Waffen benutzten und keine Kleidung trugen. Die Angreifer hier hatten einfach Strumpfmasken übergezogen, wie man sie bei jedem Waffenhändler kaufen konnte.
Die herbeigeeilten Kalugaer warfen sich auf den Boden und eröffneten ihrerseits das Feuer. Sie verschanzten sich einfach hinter irgendwelchen Leichen, die auf den Gleisen lagen. Jemand brach mit einem Gewehrkolben die Spanplatten heraus, die man an die Frontscheibe des Zugwaggons genagelt hatte. Dahinter kam ein getarntes MG-Nest zum Vorschein. Schon donnerte die erste Salve los.
Artjoms Blick fiel auf das von hinten beleuchtete Tableau in der Saalmitte, das sämtliche Stationen der Linie anzeigte. Der Angriff kam von der Tretjakowskaja - dieser Weg war also abgeschnitten. Und um zur Taganskaja zu gelangen, hätte er durch die gesamte Station mitten ins Zentrum des Gefechts zurückkehren müssen. Blieb nur noch der Weg zum Kusnezki Most.
Das Dilemma hatte sich also von selbst gelöst. Artjom sprang auf die Gleise und rannte auf den dunklen Eingang des einzigen freien Tunnels zu. Weder Khan noch Tus waren irgendwo zu sehen. Nur einmal tauchte oben auf dem Bahnsteig eine Gestalt auf, die dem wandernden Philosophen ähnelte, doch nach kurzem Zögern begriff Artjom, dass er sich geirrt hatte.
Er war nicht der Einzige, der in dem Tunnel Zuflucht suchte - viele Menschen rannten dorthin. Ängstliche Rufe und wütendes Schreien ertönten von dort, irgendjemand heulte hysterisch. Hier und da sah man schwankende Lichtkegel von Taschenlampen und das unstete Flackern rußender Fackeln. Jeder versuchte sich seinen eigenen Weg so gut es ging zu beleuchten.
Artjom zog Khans Geschenk aus der Tasche und drückte auf den Hebel. Er richtete das schwache Licht der Lampe auf den Boden, um nicht zu stolpern, und hastete vorwärts - vorbei an kleinen Gruppen flüchtender Menschen, zum Teil ganzen Familien, zum Teil einzelnen Frauen, Alten oder auch jungen, kräftigen Männern. Diese schleppten irgendwelche Säcke, die wohl kaum ihnen gehörten.
Einige Male half er Leuten auf, die gestürzt waren. Bei einem von ihnen blieb er stehen: einem grauhaarigen alten Mann, der sich, das Gesicht schmerzverzerrt, gegen die wellige Wand des Tunnels lehnte und eine Hand auf die Herzgegend presste. Ein halbwüchsiger Junge stand daneben, an dessen plumpen Gesichtszügen und glasigen Augen Artjom erkannte, dass er kein normales Kind war. Etwas in Artjom krampfte sich zusammen, als er dieses seltsame Paar erblickte, und obwohl er jede Verzögerung vermeiden wollte, sah er sich außerstande weiterzulaufen.
Als der Alte merkte, dass jemand ihnen Aufmerksamkeit schenkte, versuchte er zu lächeln und etwas zu Artjom zu sagen, doch bekam er nicht genug Luft. Er runzelte die Stirn und schloss die Augen. Artjom beugte sich zu ihm hinab, um zu hören, was er flüsterte.
Sogleich stieß der Junge unartikulierte Drohlaute aus, und Artjom sah den Speichelfaden zwischen seinen Lippen, als er seine kleinen gelben Zähne entblößte. Außerstande, den aufkeimenden Widerwillen zu unterdrücken, stieß er den Jungen weg, so dass dieser auf die Gleise plumpste und kläglich zu greinen begann.
»Junger... Mann«, presste der Alte hervor. »Nicht schlagen... Wanetschka ... begreift doch nichts.«
Artjom zuckte mit den Schultern.
»Bitte ... Nitro... glyzerin ... in der Tasche ... ein Kügelchen ... ich kann nicht«, krächzte der Alte mit letzter Kraft.
Artjom kramte in der Ledertasche, die auf dem Boden lag, fand schließlich eine neue, noch nicht angebrochene Packung, riss die Folie auf, fing das herausrollende Kügelchen im letzten Moment auf und reichte es dem Alten.
Dieser verzog mühsam den Mund zu einem schuldvollen Lächeln und stöhnte: »Ich kann nicht ... Meine Hände ... Unter die Zunge.« Dann schlossen sich seine
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