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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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schaffen müssen.«
    »Ich fürchte, wenn wir erst damit anfangen, werden wir bald zwei Drittel unserer Mannschaft an Land setzen müssen. Ein Stück Zucker, Herr Pathurst?«
    »Ja, bitte sehr!« antwortete ich. »Der Mann hat sich aber furchtbar zugerichtet. Er wird wahrscheinlich verbluten.«
    Einen Augenblick sah sie mich an, während sie mir meine Tasse reichte. Ihre grauen Augen waren ernst und prüfend. Dann tauchte ein Lächeln in ihnen auf, und sie schüttelte tadelnd den Kopf.
    »Nun fangen Sie aber bitte die Reise nicht gleich damit an, daß Sie sich entrüsten, Herr Pathurst. Solche Dinge sind etwas ganz Alltägliches. Sie werden sich bald daran gewöhnen. Vergessen Sie nicht, daß es oft die seltsamsten Leute sind, die zur See gehen. Der Mann ist wirklich in guten Händen. Pike versteht sich darauf, seine Wunden zu behandeln. Ich bin nie mit Herrn Pike gefahren, aber ich habe genug von ihm gehört. Herr Pike ist ein tüchtiger Chirurg. Auf der letzten Reise, erzählte man mir, soll er eine erfolgreiche Amputation vorgenommen haben, von der er selbst so entzückt war, daß er daraufhin seine ganze Aufmerksamkeit dem Zimmermann widmete, der an irgendwelchen Darmbeschwerden litt. Herr Pike war von der Richtigkeit seiner Diagnose so felsenfest überzeugt, daß er den Zimmermann ständig damit verfolgte, sich von ihm seinen Blinddarm entfernen zu lassen.« Sie hielt inne, um herzlich zu lachen, und fügte dann hinzu: »Die Leute erzählen, er soll dem armen Mann Tabak und noch einmal Tabak, viele Pfunde, geboten haben, nur um seine Einwilligung zur Operation zu erhalten.«
    »Aber ist es denn gut… gut für die Arbeit an Bord« – wandte ich ein –, »wenn man so einen Verrückten behält?«
    Sie zuckte die Achseln, als ob sie nicht die Absicht hätte zu antworten. Dann sagte sie dennoch: »Was wollen Sie? Das Leben auf See ist hart, Herr Pathurst. Als Matrosen bekommen wir nur das übelste Gesindel, das man sich denken kann. Wir tun tatsächlich unser Bestes für sie, und irgendwie kriegen wir sie ja schließlich immer so weit, daß sie uns ein bißchen bei der Arbeit helfen. Aber es ist und bleibt Gesindel… Gesindel!«
    Ich saß da, lauschte und sah sie an. Und als ich ihre weiblich-empfindsamen Züge und ihr schönes geschmackvolles Kleid mit den tierischen Fratzen und den schmutzigen Lumpen der Männer verglich, die ich soeben gesehen hatte, kam mir trotz allem, ob ich wollte oder nicht, die Überzeugung, daß ihr Standpunkt richtig war. Und dennoch fühlte ich mich abgestoßen – vielleicht hauptsächlich, weil sie ihre Ansichten so derb und unbewegt zum Ausdruck brachte.
    »Mir fiel die Kaltblütigkeit auf, mit der Ihr Herr Vater die Sache betrachtete«, sagte ich vorsichtig.
    »Er nahm gar nicht erst die Hände aus den Taschen, nicht wahr?« erklärte sie.
    Ihre Augen leuchteten, als ich das bestätigte.
    »Oh, das wußte ich, so ist er immer! Das habe ich so oft gesehen… ich erinnere mich einmal – ich war damals zwölf Jahre alt – Mutter war allein zu Hause geblieben – wir liefen eben in San Francisco ein – mit der Dixie, die beinahe ebenso groß wie dieses Schiff war. Der Wind war sehr günstig, und Papa nahm deshalb keinen Schlepper. Wir segelten geradewegs durch das Goldene Tor und den Hafen von Frisco.
    Nun, es war Schuld des Kapitäns auf dem Dampfer. Er schätzte unsere Schnelligkeit falsch ein und versuchte, unsern Bug noch zu kreuzen. Dann kam der Zusammenstoß, der Bug der Dixie schnitt den Dampfer einfach durch, durch Kajüte und Rumpf. Es waren Hunderte von Passagieren an Bord, Männer, Frauen und Kinder. Papa nahm nicht einen Augenblick die Hände aus der Tasche. Aber er schickte den Steuermann voraus, um die Rettung der Passagiere zu überwachen, die schon anfingen, Bugspriet und Back bei uns zu erklettern, und mit einer Stimme, genau wie wenn ein anderer bittet, ihm Butter zu reichen, befahl er dem Untersteuermann, alle Segel zu setzen. Und er sagte ihm, mit welchen Segeln er anfangen sollte…«
    »Aber warum mehr Segel setzen?« unterbrach ich sie.
    »Weil er die Lage überblickte. Der Dampfer stand doch sperrangelweit offen! Nur der Bug der Dixie, der in seiner Seite stak, hinderte ihn am Sinken. Indem mein Vater mehr Segel setzte und sie platt vor dem Winde hielt, blieb der Bug im Rumpf des Dampfers stecken. Ich war furchtbar aufgeregt. Aber wenn ich Papa anguckte, wie er, die Hände in den Taschen, dastand oder ganz ruhig auf und ab ging… Hin und wieder gab er dem

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