Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
offenbar reichlich Schnaps getrunken; in keinem Verbrecherviertel habe ich je eine verlumptere, elendere und abstoßendere Gesellschaft gesehen. Ihre Kleidung bestand nur aus Lumpen. Ihre Gesichter waren aufgedunsen, blutverschmiert und dreckig. Ich will nicht gerade behaupten, daß sie wie Verbrecher aussahen, aber sie waren unbeschreiblich verwahrlost und widerlich.
    »Na los, ein bißchen dalli! Schmeißt euern Dreck ins Vorderkastell, aber schnell!«
    Herr Pike rief diese Worte scharf von der Brücke herunter. Leicht und elegant aus Stahl und Holz erbaut, lief diese durch die ganze Elsinore, von der Kampanje über das Mittschiffshaus und die Back bis zum Bug.
    Bei den gebieterischen Worten des Steuermanns drehten die Männer sich taumelnd um und glotzten zu ihm hinauf. Ein paar von ihnen versuchten, mit ungeschickten Bewegungen zu gehorchen. Die andern starrten den Steuermann feindselig an. Einer, dessen Gesicht ein übermütiger Gott bei der Schöpfung zerschlagen zu haben schien, lachte roh und spie höhnisch aufs Deck – später erfuhr ich, daß er Larry hieß. Dann wandte er sich in aller Ruhe zu den Kameraden und sagte laut und mit heiserer Stimme: »Wer, zum Deubel, ist der alte Schuft da oben?«
    Ich sah, wie der gewaltige Körper des Steuermanns sich unwillkürlich straffte und seine riesigen Hände sich um das Brückengeländer krallten. Im übrigen aber bewahrte er seine Selbstbeherrschung.
    »Los, da unten«, sagte er. »Ich habe nicht die Absicht, so was zu dulden. Marsch, ins Vorderkastell!«
    Zu meinem Befremden drehte er sich dann ruhig um und schlenderte achteraus über die Brücke bis zu der Stelle, wo der Schlepper gerade die Leine einholte. Mehr steckt also nicht hinter seinen großmächtigen, gewaltigen Worten von Töten und Hetzen, dachte ich. Erst als ich von achtern an Deck zurückkehrte, erinnerte ich mich, bemerkt zu haben, daß Kapitän West, an den Kampanjebogen gelehnt, nach der Back geblickt hatte.
    Der Schlepper wollte gerade loswerfen, und ich beobachtete das Manöver, bis er klargeschert war. Im selben Augenblick entstand eine babylonische Verwirrung von Johlen und Brüllen, und eine Menge schnapsheiserer Stimmen schrie, ein Mann sei über Bord gegangen. Der Untersteuermann sprang die Kampanjetreppe herunter und lief hinter mir her über das Deck. Der Steuermann, der immer noch auf der schlanken, weiß gestrichenen Brücke stand, die leicht wie ein Spinngewebe wirkte, überraschte mich durch die Schnelligkeit, mit der er über die Brücke bis zum Mittschiffshaus lief, auf die Segeltuchdecke des großen Bootes sprang und sich von dort aus außenbords schwang, um besser sehen zu können, was es gab. Ehe die anderen Männer auf die Reling geklettert waren, hatte der Untersteuermann schon eine Leine über Bord geworfen.
    Was solchen Eindruck auf mich machte, war die geistige und körperliche Überlegenheit dieser beiden Offiziere. Trotz ihrem Alter – der Steuermann war neunundsechzig und der Untersteuermann wenigstens fünfzig – hatten ihre Gehirne und ihre Körper mit der Schnelligkeit und Genauigkeit von Stahlfedern funktioniert. Sie schienen von ganz anderer Art als die übrigen Seeleute, die ihnen unterstellt waren. Die hatten in ihrer Ratlosigkeit nur um Hilfe gerufen, aber ihren langsamen Gehirnen und ihren noch langsameren Körpern war es nicht einmal gelungen, auf die Reling zu klettern. Der Untersteuermann hingegen war die Treppe von der Kampanje heruntergesprungen, zweihundert Fuß weit über Deck gelaufen und auf die Reling geklettert. Er hatte sofort die Lage erfaßt und die Leine ins Wasser geworfen. Und was Pike getan, konnte sich damit messen. Er und Mellaire meisterten diese Taugenichtse von Seeleuten durch ihre ungeheure Überlegenheit an Tatkraft und Willen.
    Ich selbst war unterdessen auf ein großes hölzernes Betingsknie geklettert, so daß ich den Mann im Wasser sehen konnte. Er schwamm offenbar absichtlich vom Schiffe weg. Er war ein dunkelhäutiger Mann aus den Ländern des Mittelmeeres, sein Gesicht, das ich nur flüchtig sah, war wie im Wahnsinn verzerrt. Der Untersteuermann hatte die Leine so genau geworfen, daß sie über die Schulter des Mannes fiel und sich um seine Arme schlang, bis es ihm nach einigen Schwimmzügen gelang, sich klarzumachen. Als das geschehen war, begann er unter wildem Gejohl irgendein noch wilderes Lied zu grölen. Als er einmal die Arme hob, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, sah ich die Klinge eines langen Messers in

Weitere Kostenlose Bücher