Michel bringt die Welt in Ordnung
Alfred die Sensen und Michels Papa seine Äxte und Messer schliff. An der Schleifsteinkurbel band Michel den Zwirn fest, und dann brauchte er nur noch anzufangen.
»Jetzt wird es nicht so ein schnelles Plupp, jetzt wird es nur ein Drrrr, so ein Rausdrehen, wie du es haben wolltest«, sagte Michel.
Klein-Ida schauderte es, Lina jammerte und plärrte und dann begann Michel an der Kurbel zu drehen. Der Faden, der erst schlaff auf dem Boden lag, verkürzte sich, spannte sich immer mehr und je mehr er sich spannte, desto ängstlicher wurde Lina. Aber sie konnte ja nicht weglaufen.
»Jetzt fängt das Drrrrrr bald an«, sagte die kleine Ida.
Aber da schrie Lina: »Halt! Ich will nicht!«
Und schnell, wie gedacht, so getan, holte sie eine kleine Schere aus ihrer Schürzentasche hervor und schnitt den Zwirnsfaden durch.
Nachher schämte sie sich wieder und war traurig. Sie wollte den Zahn ja loswerden. Das Ganze war wirklich enttäuschend. Michel und Alfred und Klein-Ida waren überhaupt nicht zufrieden und Michel sagte:
»Behalt du nur deinen alten Zahn! Ich hab jetzt getan, was ich kann!«
Aber da sagte Lina, wenn Michel es nur noch ein einziges Mal versuchen wollte, dann würde sie, so wahr sie hier sitze, sich bestimmt keine neuen Dummheiten erlauben.
»Denn jetzt soll der Zahn raus und wenn ich selbst dabei draufgehe«, sagte sie. »Her mit mehr Zwirn!«
Michel war zu einem neuen Versuch bereit und Alfred und Klein-Ida strahlten geradezu, als sie das hörten.
»Ich glaub trotzdem, dass die schnelle Art die beste ist«, sagte Michel. »Aber es muss so sein, dass du es einfach nicht verpatzen kannst , selbst wenn du Angst kriegst.«
Und pfiffig, wie Michel war, hatte er schon einen neuen Plan.
»Wir stellen dich aufs Stalldach und dann springst du in den Heuhaufen darunter, und schon wenn du auf halbem Wege bist, fliegt der Zahn raus: Plupp!«
»Plupp«, sagte die kleine Ida und ihr schauerte. Aber trotz allem, was Lina versprochen hatte – nun sträubte sie sich wieder dagegen und wollte nicht aufs Dach.
»So was Grausames kannst nur du erfinden, Michel«, sagte sie und blieb eigensinnig auf der Küchentreppe sitzen.
Aber der Zahn schmerzte wie verrückt und schließlich erhob sie sich mit einem tiefen Seufzer. »Also versuchen wir es – wenn es auch mein Tod sein wird.«
Alfred hatte schnell eine Leiter ans Stalldach gelehnt und Michel kletterte hinauf. Am Zwirnsfaden hielt er Lina fest wie einen Hund an der Leine und folgsam kletterte sie ihm nach, wenn auch unter Gejammer.
Michel hatte einen Hammer und einen großen Sechszollnagel mitgenommen, und sobald er den Nagel auf dem Dachfirst eingeschlagen hatte, band er Linas Zwirnsfaden daran fest, und damit war alles klar. »Spring jetzt«, sagte Michel.
Die arme Lina, sie saß rittlings auf dem Dachfirst und starrte in die Tiefe und sie jammerte herzzerreißend. Dort unten sah sie die aufwärts gewandten Gesichter von Alfred und Klein-Ida. Jetzt warteten sie darauf, dass sie wie ein Komet vom Himmel stürzen und im Heuhaufen landen würde. Linas Jammern wurde noch verzweifelter.
»Ich trau mich nicht … wirklich … ich trau mich nicht!«
»Ja, wenn du deinen alten Zahn behalten willst – von mir aus gern«, sagte Michel.
Da heulte Lina, dass man es über ganz Lönneberga hörte. Dann richtete sie sich mit zitternden Beinen auf und stand aufrecht da, ganz vorn am Giebel. Sie schwankte vor und zurück wie eine Föhre im Sturm und Klein-Ida hielt sich die Augen zu, sie wagte nicht zu gucken.
»Jaijaijai«, schluchzte Lina. »Jaijaijai!«
Es wäre schon schlimm gewesen, ohne einen einzigen Zahn im Mund vom Stalldach zu springen, aber wo sie nun wusste, dass es mitten im Sprung dieses fürchterliche Plupp geben würde, war das fast mehr, als ein Mensch ertragen konnte.
»Spring, Lina!«, schrie Alfred. »Spring endlich!«
Lina jammerte und schloss die Augen.
»Ich werd dich in Trab bringen«, sagte Michel, freund-
lich wie er war. Er brauchte dazu nicht mehr als seinen Zeigefinger, mit dem er sie nur ein bisschen im Rücken anstieß, und mit einem gellenden Aufschrei fiel Lina vom Dach.
Zwar hörte man ein leises Plupp, aber das war, als sich der Sechszollnagel aus dem Dachfirst löste.
Lina lag im Heuhaufen, immer noch im Besitz ihres Zahnes und am anderen Ende des Zwirnsfadens hing der Nagel. Und jetzt war sie böse auf Michel.
»Unfug und Verrücktheiten ausdenken, das kannst du, aber Zähne ziehen, dazu taugst du
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