Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
Attorneys-at-Law. Im Zug des wirtschaftlichen Abschwungs war der Markt für Strafverteidiger buchstäblich ausgetrocknet. Die Kriminalität war natürlich nicht zurückgegangen. Sie florierte in Los Angeles bei jeder Wirtschaftslage. Aber die zahlenden Mandanten waren dünn gesät. Es schien, als hätte niemand mehr Geld, um einen Anwalt zu bezahlen. Folglich erstickten die Pflichtverteidiger in Arbeit, während Leute wie ich am Hungertuch nagten.
Ich hatte laufende Kosten und eine vierzehnjährige Tochter, die auf eine Privatschule ging und unbeirrbar von der USC redete, wenn das Thema College zur Sprache kam. Ich musste also etwas tun, und deshalb tat ich, was ich einmal für undenkbar gehalten hatte. Ich machte Zivilrecht. Die einzige Wachstumsbranche für Juristen waren Zwangsversteigerungen. Ich nahm an ein paar Fortbildungsseminaren der Anwaltskammer teil, brachte mich auf den neuesten Stand und begann, neue zweisprachige Anzeigen zu schalten. Ich richtete ein paar Websites ein und kaufte in der Verwaltungsstelle des County die Listen für eingeleitete Zwangsversteigerungsverfahren. So hatte ich Mrs. Pena als Mandantin bekommen. Per Post. Ihr Name hatte auf der Liste gestanden, und ich hatte ihr – auf Spanisch – einen Brief geschickt, in dem ich ihr meine Dienste anbot. Daraufhin erzählte sie mir, sie habe erst aus meinem Schreiben erfahren, dass eine Zwangsversteigerung gegen sie eingeleitet worden war.
Wie heißt es so schön? Man muss nur den Einstieg schaffen, dann läuft der Laden von allein. Das kann ich nur bestätigen. Ich hatte mehr Arbeit, als ich bewältigen konnte – allein an diesem Tag hatte ich noch sechs weitere Termine –, und zum ersten Mal überhaupt hatte ich tatsächlich einen Partner für Michael Haller and Associates eingestellt. Die Zwangsversteigerungsepidemie ließ zwar nach, kam aber noch keineswegs zum Erliegen. In Los Angeles County hätte ich noch auf Jahre hinaus mein Auskommen.
Diese Zivilsachen trugen mir zwar jeweils nur vier- bis fünftausend Dollar ein, aber ich befand mich beruflich gerade in einer Phase, in der Quantität vor Qualität ging. Im Moment hatte ich über neunzig Zwangsvollstreckungsfälle. Meine Tochter konnte die USC also schon mal ins Auge fassen. Was sage ich, sie konnte sogar mit dem Gedanken spielen, ihren Master zu machen.
Es gab natürlich Leute, die fanden, ich sei Teil des Problems, weil ich den Losern half, das System auszutricksen, und dadurch die gesamtwirtschaftliche Erholung bremste. Auf einige meiner Mandanten traf dieser Vorwurf sicher zu. Die meisten von ihnen waren in meinen Augen jedoch Mehrfachopfer. Zuerst waren sie mit dem amerikanischen Traum vom eigenen Heim dazu verführt worden, Hypotheken aufzunehmen, die ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem überschritten, um dann ein zweites Mal zum Opfer zu werden, als die Blase platzte und skrupellose Kreditgeber sie im Zug der daraus resultierenden Zwangsversteigerungswelle einfach plattwalzten. Den meisten dieser einst so stolzen Hauseigentümer ließen die in Kalifornien ausschließlich auf die Bedürfnisse der Kreditinstitute zugeschnittenen Zwangsversteigerungsbestimmungen keine Chance. Eine Bank brauchte nicht einmal eine richterliche Genehmigung, um jemandem das Haus wegzunehmen. Und das hielten unsere Wirtschaftsweisen auch noch für den vernünftigsten Weg. Alles, bloß kein Stillstand. Immer schön in Bewegung bleiben. Je früher die Krise ihren Tiefpunkt erreichte, desto früher begänne die Erholung. Da kann ich nur sagen, erzählen Sie das mal Mrs. Pena.
Es gab die Theorie, dass dies alles Teil einer gigantischen Verschwörung der Großbanken sei, um die Eigentumsrechte auszuhöhlen, das Rechtssystem zu untergraben und eine nie zum Stillstand kommende Zwangsversteigerungsmaschinerie zu kreieren, damit sie immer weiter an beiden Enden dieses Vorgangs kräftig mitverdienen konnten. Dieser Ansicht war ich zwar nicht unbedingt, aber ich hatte in der kurzen Zeit, in der ich mich mit diesem rechtlichen Spezialgebiet befasste, so viele halsabschneiderische und unethische Praktiken sogenannter seriöser Geschäftsleute mitbekommen, dass ich mich nach meinen guten alten Strafrechtsfällen zurücksehnte.
Rojas wartete neben dem Auto, dass Mrs. Pena mit dem Geld zurückkäme.
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass wir es zu meinem nächsten Termin, einer gewerblichen Zwangsversteigerung drüben in Compton, nicht mehr rechtzeitig schaffen würden. Um Zeit, Sprit
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