Mickey Haller 04 - Der fünfte Zeuge
glaubte, wenn der Moment käme, über einen Ausstieg aus dem Vertrag zu verhandeln.
Aber diese Auskünfte bestärkten Lisa nur in ihrem Glauben, von der Bank hintergangen worden zu sein. Sie war in keiner Weise bereit anzuerkennen, dass sie einen Kredit aufgenommen hatte und zu seiner Rückzahlung verpflichtet war. Sie sah in der Bank nur noch die Quelle all ihrer Schwierigkeiten.
Ihre erste Aktion war, eine Website einzurichten. Sie rief über www.californiaforeclosurefighters.com eine Organisation ins Leben, die sich Foreclosure Litigants Against Greed nannte, Zwangsvollstreckungsprozessierende gegen Gier. Wesentlich besser hörte sich allerdings die Abkürzung an: FLAG. Dazu setzte sie auf ihren Demonstrationstransparenten sehr wirkungsvoll die amerikanische Flagge ein, womit sie zum Ausdruck bringen wollte, dass der Kampf gegen Zwangsversteigerungen etwas so typisch Amerikanisches sei wie Apple Pie.
Dann ging sie dazu über, vor dem WestLand-Firmensitz im Ventura Boulevard zu demonstrieren. Manchmal allein, manchmal mit ihrem kleinen Sohn und manchmal mit Leuten, die sie für ihre Sache hatte gewinnen können. Dabei trug sie Schilder, die der Bank vorwarfen, an illegalen Zwangsversteigerungen beteiligt zu sein und Familien aus ihren Häusern zu vertreiben und auf die Straße zu setzen.
Es gelang ihr rasch, die lokalen Medien auf ihre Aktivitäten aufmerksam zu machen. Sie war mehrere Male im Fernsehen und hatte immer einen einprägsamen Spruch parat, der Menschen, die sich in derselben Lage befanden wie sie, eine Stimme verlieh und sie als Opfer der Zwangsversteigerungsepidemie hinstellte und nicht als Leute, die einfach ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkamen. Mir war aufgefallen, dass sie bei Channel 5 sogar zu einem festen Bestandteil des Standardbildmaterials aufgestiegen war, das eingespielt wurde, wenn es neue Meldungen und Zahlen zum Thema Zwangsversteigerungen gab. Kalifornien stand an dritter Stelle der amerikanischen Bundesstaaten, die am stärksten von Zwangsversteigerungen betroffen waren, und in Los Angeles grassierte die Epidemie besonders heftig. Wenn das Fernsehen darüber berichtete, waren auf dem Bildschirm häufig Lisa und ihre Anhänger mit ihren Transparenten zu sehen: LASST MIR MEIN ZUHAUSE! SCHLUSS MIT ILLEGALEN ZWANGSVERSTEIGERUNGEN!
Mit der Begründung, ihre Proteste seien verbotene Ansammlungen, die den Verkehr behinderten und Passanten gefährdeten, erwirkte WestLand eine einstweilige Verfügung, die es Lisa untersagte, sich einer ihrer Bankfilialen und deren Angestellten auf mehr als hundert Meter zu nähern. Davon unbeeindruckt, zog Lisa mit ihren Transparenten und Gesinnungsgenossen einfach zum Bezirksgericht um, wo Tag für Tag gegen Zwangsversteigerungen geklagt wurde.
Mitchell Bondurant war bei WestLand Geschäftsbereichsleiter für Hypothekendarlehen. Daher stand sein Name auf den Darlehensverträgen für Lisa Trammels Haus und somit auch auf allen meinen Einreichungen. Außerdem hatte ich ihm einen Brief geschrieben, in dem ich ihn auf Anzeichen betrügerischer Praktiken seitens der Zwangsversteigerungsfirma hinwies, die WestLand damit beauftragt hatte, die Drecksarbeit für sie zu übernehmen, wenn säumigen Bankkunden die Häuser und andere Immobilien weggenommen werden sollten.
Lisa war berechtigt, sämtliche ihren Fall betreffenden Dokumente einzusehen. Sie war über den Brief und alle anderen Details genauestens im Bild. Obwohl Bondurant das menschliche Gesicht der Bemühungen war, Lisa ihr Zuhause wegzunehmen, blieb er bei den damit einhergehenden Auseinandersetzungen im Hintergrund und versteckte sich hinter der Rechtsabteilung der Bank. Er antwortete nie auf mein Schreiben, und ich begegnete ihm nie. Es entzog sich meiner Kenntnis, ob Lisa Trammel ihn jemals kennengelernt oder mit ihm gesprochen hatte. Aber jetzt war er tot und Lisa in Untersuchungshaft.
Wir verließen den Freeway 101 am Van Nuys Boulevard und fuhren in nördlicher Richtung weiter bis zu jenem Platz, der von zwei Gerichtsgebäuden, einer Bibliothek, der City Hall North und dem Valley-Bureau-Polizeikomplex umgeben war. In Letzterem war auch die Van Nuys Division untergebracht. Um diese Hauptbauten gruppierten sich noch verschiedene andere Behörden. Parken war hier immer ein Problem, aber deswegen machte ich mir keine Sorgen. Ich holte mein Handy heraus und rief meinen Ermittler Dennis Wojciechowski an.
»Cisco, ich bin’s. Wie lange brauchst du noch?«
In seinen jungen Jahren hatte
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