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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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dort, wo Landvermesser ihn hintrügen. Patet Zea schloß die Augen, hob sein Weinglas und stellte es wieder ab, ohne daraus getrunken zu haben. Die drei Männer hätten unvorstellbar genau gearbeitet. Trotzdem hätten ihre Daten nie übereingestimmt. Zwei Bogenminuten auf dem Gerät La Condamines seien drei auf dem Gerät Bouguers gewesen, ein halbes Grad im Fernrohr Godins eineinhalb im Fernrohr La Condamines. Um ihre Linie zu ziehen, seien sie auf astronomische Messungen angewiesen gewesen, solch nützliche, tragbare Uhren, der Pater streifte das Chronometer an Humboldts Gürtel mit einem spöttischen Blick, habe es noch nicht gegeben. Die Dinge seien noch nicht gewöhnt gewesen ans Gemessenwerden. Drei Steine und drei Blätter seien noch nicht gleich viele gewesen, fünfzehn Gramm Erbsen und fünfzehn Gramm Erde noch nicht gleich schwer. Dazu die Hitze, die Feuchtigkeit, die Moskitos, der unablässige Kampfeslärm der Tiere. Eine Wut ohne Grund und Ziel sei über die Männer gekommen. Der wohlerzogene La Condamine habe Bouguers Meßgeräte verstellt, der wiederum Godins Bleistifte zerbrochen. Täglich habe es Streit gegeben, bis Godin den Degen gezückt habe und davongestolpert sei in den Urwald. Das gleiche, ein paar Wochen später, zwischen Bouguer und La Condamine. Pater Zea faltete die Hände. Man müsse sich das vorstellen. Derart zivilisierte Herren mit Allongeperücken, Lorgnons und parfümierten Taschentüchern! La Condamine habe es am längsten ausgehalten. Acht Jahre im Wald, beschützt von nur einer Handvoll fieberkranker Soldaten. Er habe Schneisen geschlagen, die zugewachsen seien, sobald er sich abgewandt habe, Bäume gefällt, welche schon in der nächsten Nacht wieder in die Luft geragt hätten; und dennoch, halsstarrig, habe er nach und nach ein Zahlennetz über die widerstrebende Natur gezwungen. Er habe Dreiecke gezogen, deren Winkelsumme sich allmählich den hundertachtzig genähert, und Bögen trianguliert, deren Krümmung schließlich sogar dem Flirren der Luft widerstanden habe. Dann habe er einen Brief der Akademie erhalten. Die Schlacht sei verloren, der Beweis in Newtons Sinn geführt, die Erde abgeplattet, die ganze Arbeit umsonst.
Bonpland nahm einen riefen Schluck aus der Weinflasche. Er schien vergessen zu haben, daß Gläser dastanden und sich das nicht gehörte. Humboldt warf ihm einen strafenden Blick zu.
So sei, sagte Pater Zea, der geschlagene Mann eben heimgefahren. Vier Monate lang, einen noch immer namenlosen Fluß entlang, den er erst später Amazonas getauft habe. Unterwegs habe er Karten gemalt, den Bergen Namen gegeben, die Temperatur verzeichnet, die Arten der Fische, Insekten, Schlangen und Menschen erfaßt. Nicht weil es ihn interessiert habe, sondern um den Verstand zu bewahren. Niemals habe er danach in Paris über die Dinge geredet, an die der eine oder andere seiner Soldaten sich noch erinnert habe: die kehligen Laute und perfekt gezielten Giftpfeile aus dem Unterholz, die nächtlichen Lichterscheinungen, vor allem aber jene winzigen Verschiebungen in der Wirklichkeit, wenn die Welt für Momente einen Schritt ins Irreale gemacht habe. Dann hätten zwar die Bäume noch wie Bäume, die träge strudelnden Wasser wie Wasser ausgesehen, aber man habe es schaudernd als Mimikri von etwas Fremdem erkannt. In dieser Zeit habe La Condamine auch den Kanal gefunden, von dem der verrückte Aguirre berichtet habe. Die Verbindung der zwei größten Flüsse des Kontinents.
Er werde beweisen, daß sie existiere, sagte Humboldt. Alle großen Ströme seien verbunden. Die Natur sei ein Ganzes.
Ach ja? Pater Zea wiegte zweifelnd den Kopf. Jahre später, als La Condamine, längst Akademiemitglied und alt und berühmt, nur mehr selten schreiend erwacht sei und es angeblich sogar wieder fertiggebracht habe, an Gott zu glauben, habe er selbst den Kanal für einen Irrtum erklärt. Zwischen großen Flüssen, habe er gesagt, gebe es keine Verbindung im Inland. So etwas brächte den Kontinent in eine Unordnung, die seiner nicht würdig wäre. Pater Zea schwieg einen Moment, dann stand er auf und verbeugte sich. Träumen Sie gut, Baron. Und wachen Sie gut auf!
Am frühen Morgen rissen Schmerzensschreie sie aus dem Schlaf. Einer der im Hof angeketteten Männer wurde von zwei Priestern mit Lederriemen gepeitscht. Humboldt lief hinzu und fragte, was hier vorgehe.
Nichts, sagte der eine Priester. Wieso?
Eine ganz alte Angelegenheit, sagte der andere. Es habe nichts mit ihrer Weiterreise zu tun. Er

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