Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
ausgedacht hatten. Das Vertrauen zwischen den Clans und dem Oberherrn sollte erschüttert werden.«
Nicholas sagte: »Nun, vieles an diesem Vorfall ergibt keinen Sinn.
Was sagt Ihr, wenn ich Euch erzähle, daß die Banditen genug Gold zurückließen, um eine ganze Stadt auszulösen? Und was sagt Ihr dazu, daß einer der Toten den Helm eines Roten Kämpfers umklammerte?«
»Unmöglich«, sagte der alte Mann.
»Wieso?« fragte Nicholas.
»Weil noch nie ein Roter Kämpfer die Stadt ohne den Oberherrn verlassen hat. Sie sind seine persönliche Leibwache.«
Nicholas wägte ab, was er als nächstes sagen sollte. Etwas an diesem Mann war sehr einfach, etwas, das aus den Zeiten geblieben war, als die Menschen hier noch lebten wie die Jeshandi. Die Clans waren vielleicht seit Generationen in der Stadt ansässig, doch sie pflegten ihr Erbe. Sie waren Herrscher und Krieger, und bei ihnen galt ein Wort immer noch etwas. »Und was würdet Ihr dazu sagen, daß noch eine Abteilung Reiter kam, um die zu töten, die entkommen konnten und um die Randschana zu töten, und wenn diese zur Leibwache des Strahlenden Oberherrn gehörten?«
»Welchen Beweis habt Ihr?«
»Ich habe einen Mann namens Dubas Nebu getötet.«
»Ich kenne diesen Hund. Er ist Hauptmann der Zweiten Kompanie. Warum habt Ihr ihn getötet?«
Nicholas erklärte ihm in allen Einzelheiten, was sie bei Shingazis Anlegestelle vorgefunden hatten und ließ wieder nur den Talisman mit dem Schlangenzeichen aus. Als er geendet hatte, sagte der alte Mann: »Jemand will uns gegeneinander und gegen den Oberherrn aufbringen.«
»Wer hätte davon einen Vorteil?« fragte Amos.
Vaslaw sagte: »Das muß ich mit den anderen Clanoberhäuptern besprechen. Wir führen vielleicht Fehden gegeneinander – das gehört zur Tradition –, doch so etwas könnte unser Bündnis mit dem Oberherrn gefährden.«
»Ihr habt ein Bündnis mit dem Oberherrn?« fragte Nicholas.
»Ja,«, sagte der alte Mann. »Aber ich kann Euch unsere Geschichte nicht erklären, während wir hier in der Kälte stehen.
Kommt morgen abend in mein Haus im westlichen Viertel der Stadt und eßt mit uns – bringt ruhig Eure Gefährten mit, falls Ihr um Eure Sicherheit fürchtet. Dann kann ich Euch mehr erzählen.«
Er machte ein Zeichen, und ihm wurde ein Pferd gebracht. Trotz seines Alters schwang er sich locker in den Sattel, während ein Mann die Tür öffnete und die Bogenschützen holte. Vaslaw sagte: »Ich werde Euch morgen einen Führer schicken. Bis dann.« Er wendete sein Pferd und führte seine Truppe davon. Amos, Ghuda und Nicholas sahen den Männern vom Löwenclan hinterher, bis sie verschwunden waren, und gingen danach zurück in die Herberge.
Als sie wieder an ihrem Tisch saßen, fragte Harry: »Worum ging es eigentlich?«
»Um eine Einladung zum Essen«, meinte Nicholas. Amos und Ghuda brachen in schallendes Gelächter aus.
Calis machte Marcus ein Zeichen, er solle warten. Sie hatten schweigend eine Stunde lang in einem der ausgebrannten Bauernhäuser gewartet, falls hier irgendwelche Wachposten patrouillierten. Es war schwieriger als erwartet gewesen, über den Fluß zu kommen, denn auf der Brücke hatten Wachen gestanden.
Deshalb hatten sie sich in den Hafen gestohlen, wo sie ein kleines Boot gefunden hatten. Damit hatten sie übergesetzt und das Boot dann im Gebüsch am Ufer versteckt.
Calis hielt zwei Finger hoch, und Marcus nickte. Wenn Calis nicht in zwei Stunden wieder da war, hatte man ihn entweder gefangengenommen, oder er war irgendwie anders an der Rückkehr gehindert worden. Dann sollte Marcus ohne ihn zu Nicholas zurück.
Calis lief geduckt über die offene Straße bis zu einer Baumgruppe.
Zwischen den Stämmen konnte er schneller laufen, denn hier fand er immer ein Versteck, wenn es notwendig sein sollte. Wälder waren ihm vertraut. Er spähte in die Dunkelheit, und wo ein menschliches Auge nichts mehr erkennen konnte, entdeckte er die Umrisse von Büschen und Zweigen – er brauchte kaum Licht zum Sehen. Nur in völliger Dunkelheit war er blind.
Er erreichte den Rand des Waldes und blieb stehen. Er lauschte. In der Nähe raschelten Tiere, Hasen oder Eichhörnchen. Calis schickte den Tieren einen beruhigenden Gedanken, und das Rascheln hörte auf.
Calis war unter den Sterblichen von Midkemia einzigartig. Seine Mutter war eine Elbin, sein Vater ein Mensch, der viele der Kräfte der legendären Valheru, der Drachenlords, besaß. Nur die Magie seines Vaters hatte seine
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