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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Moment war nicht
     etwa mies, weil ich wieder mal feststellte, dass ich für eine Zweiunddreißigjährige enorm viele Falten um die Augen hatte.
     Auch nicht, weil meine strohigen Haare sich standhaft weigerten, vernünftig zu liegen – für all das würde ich zwei Stunden
     vor der Verleihung des Fernsehpreises einen Termin bei meiner Stylistin Lorelei haben. Es war ein schlimmer Augenblick, weil
     ich mich bei der Frage ertappte, ob ich für Daniel Kohn attraktiv sein würde.
    Daniel war ebenfalls in der Kategorie «Beste Moderation Informationssendung» nominiert und seines Zeichens ein geradezu obszön
     gutaussehender, dunkelhaariger Mann, der im Gegensatz zu den meisten Moderatoren in unserem Lande auf natürliche Art und Weise
     charmant war. Daniel wusste um seine Wirkung auf Frauen und nutzte sie auch mit großer Freude aus. Und jedes Mal, wenn er
     mich auf irgendwelchen Medienpartys traf, blickte er mir tief in die Augen und sagte: «Ich würde auf alle diese Frauen verzichten,
     wenn du mich erhörst.»
    Natürlich hatte der Satz ähnlich viel Wahrheitsgehalt wie die Aussage: «Am Südpol gibt es rosa Elefanten.»
    Aber ein Teil von mir wünschte sich, dass es doch stimmte. Und ein weiterer Teil von mir träumte davon, den Fernsehpreis zu
     gewinnen, anschließend souverän und mit leicht triumphalem Grinsen an Daniels Tisch vorbeizuschlendern und nachts mit ihm
     im Hotel wildesten Sex zu haben. Stundenlang. Bis die Hotelleitung an die Tür hämmert, weil sich eine Rockband nebenan über
     den Lärm beschwert.
    |16| Der größte Teil von mir aber hasste mich für die Gedanken der ersten beiden Teile. Würde ich mit Daniel im Bett landen, würde
     die Presse von so einer Affäre garantiert Wind bekommen, Alex würde sich scheiden lassen, und ich hätte als Rabenmutter meiner
     kleinen Lilly endgültig das Herz gebrochen. Mein Wunsch, mit Daniel zu schlafen, bereitete mir daher ein so schlechtes Gewissen,
     dass ich das Gesicht im Spiegel die nächsten zwanzig Jahre nicht mehr sehen wollte.
    Ich wusch mir schnell die Hände, verließ die Flughafentoilette und ging zum Gate. Dort begrüßte mich Benedikt Carstens mit
     einem überschwänglichen «Das wird unser Tag, Süße!» und kniff mir kräftig in die Wange.
    Der stets im feinsten Zwirn gekleidete Carstens war mein Chefredakteur und mein Mentor. Quasi mein persönlicher Meister Yoda,
     nur mit deutlich besserem Satzbau. Er hatte mich in der Berliner Radiostation entdeckt, in der ich nach dem Studium gearbeitet
     hatte. Ich war dort anfangs nur eine kleine Redakteurin. Doch eines Sonntagmorgens erschien der Moderator nicht zum Dienst.
     Er hatte bei einer Discotour in der Nacht zuvor gegenüber einem türkischen Türsteher die Theorie geäußert, dass es sich bei
     dessen Mutter um eine räudige Hündin handle.
    Ich musste spontan für den nachhaltig indisponierten Mann «On Air» gehen und sagte das erste Mal in meinem Leben: «Es ist
     sechs Uhr, guten Morgen.» Von diesem Augenblick an war ich süchtig. Ich liebte den Adrenalinrausch bei Rot-Licht. Ich hatte
     meine Bestimmung gefunden!
    Carstens verfolgte meine Arbeit ein paar Monate, suchte mich schließlich auf, sagte: «Sie haben die beste Stimme, die ich
     je gehört habe», und gab mir einen Job in Deutschlands aufregendstem Fernsehsender. Er brachte mir bei, wie man |17| sich vor der Kamera am besten präsentiert. Und er zeigte mir das Allerwichtigste in diesem Geschäft: wie man seine Kollegen
     aussticht. In letzterer Disziplin reifte ich dank seiner Führung zu einer Großmeisterin und erhielt in der Redaktion den Beinamen:
     «Die, die über Leichen geht und dabei auch noch nachtritt». Aber wenn das der Preis war, um meine Bestimmung zu leben, zahlte
     ich ihn gerne.
    «Ja, das wird unser Tag», sagte ich mit einem gequälten Lächeln zu Carstens. Er blickte mich an und fragte: «Ist was mit dir,
     Süße?» Da ich schlecht antworten konnte: «Ja, ich will mit Daniel Kohn von der Konkurrenz schlafen», sagte ich nur: «Nein,
     alles in Ordnung.»
    «Du musst dich nicht verstellen. Ich weiß genau, was los ist», erwiderte er.
    Panik schoss in mir hoch: Wusste er von mir und Daniel Kohn? Hatte er gesehen, wie Daniel mich auf dem Medienempfang im Kanzleramt
     angeflirtet hatte? Und dass ich dabei rot wurde wie eine Frau, die von Robbie Williams auf die Konzertbühne geholt wird?
    Carstens lächelte: «Ich wär an deiner Stelle auch aufgeregt. Man ist nicht alle Tage für den Fernsehpreis

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