Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
hatte, war Sex nicht gerade ein Anlass gewesen, die innere La-Ola-Welle zu machen.
    «Hier ist dein Geschenk, wunderschönes Mädchen», sagte Alex lächelnd und zeigte auf das mümmelnde Meerschweinchen im Stall.
     Lilly rief begeistert: «Ein Meerschweinchen!» Und ich ergänzte entsetzt in Gedanken: «Ein verdammt schwangeres Meerschweinchen!»
    Während Lilly ihr neues Haustier voller Freude betrachtete, packte ich Alex an der Schulter und zog ihn zur Seite.
    |10| «Das Vieh ist kurz davor, sich zu vermehren», sagte ich zu ihm.
    «Nein, Kim, es ist nur etwas dick», wiegelte er ab.
    «Wo hast du es denn her?»
    «Von einer gemeinnützigen Tierfarm», kam die pampige Antwort.
    «Warum hast du es denn nicht in einem Zooladen gekauft?»
    «Weil die Tiere da genauso am Rad drehen wie deine Fernsehtypen.»
    Peng! Das sollte mich treffen, und das tat es auch. Ich atmete durch, schaute auf die Uhr und sagte mit gepresster Stimme:
     «Keine dreißig Sekunden.»
    «Wie ‹keine dreißig Sekunden›?», fragte Alex irritiert.
    «Du hast keine dreißig Sekunden mit mir geredet, ohne mir Vorwürfe zu machen, dass ich heute zu der Verleihung gehe.»
    «Ich mach dir keine Vorwürfe, Kim. Ich stell nur deine Prioritäten in Frage», erwiderte er.
    Das alles regte mich wahnsinnig auf, denn eigentlich hätte ich mir doch gewünscht, dass er mit zu der Fernsehpreis-Verleihung
     kommen würde. Schließlich sollte das der größte Moment in meinem Berufsleben werden. Und da hätte mein Mann verdammt nochmal
     an meine Seite gehört! Aber ich konnte ja schlecht seine Prioritäten in Frage stellen, denn die bestanden ja darin, Lillys
     Kindergeburtstag auszurichten.
    Und so sagte ich sauer: «Und das blöde Meerschweinchen ist doch schwanger!»
    Alex erwiderte trocken: «Mach doch einen Schwangerschaftstest», und ging zum Käfig. Ich blickte ihm wütend nach, während er
     das Meerschweinchen rausholte und es der |11| überglücklichen Lilly in die Arme legte. Die beiden fütterten es mit Löwenzahn. Und ich stand daneben. Gewissermaßen im Abseits,
     das mehr und mehr zu meinem Stammplatz in unserer kleinen Familie wurde. Kein schöner Ort.
    Und hier im Abseits musste ich an meinen eigenen Schwangerschaftstest zurückdenken. Als meine Regel damals ausblieb, schaffte
     ich es sechs Tage lang mit fast übermenschlicher Verdrängungskraft, diese Tatsache zu ignorieren. Am siebten sprintete ich
     gleich morgens mit einem «Scheiße, Scheiße, Scheiße» auf den Lippen in die Apotheke, kaufte einen Schwangerschaftstest, sprintete
     zurück nach Hause, ließ den Test vor lauter Nervosität ins Klo fallen, rannte wieder zur Apotheke, kaufte einen neuen Test,
     rannte erneut zurück, pinkelte auf das Stäbchen und musste eine Minute warten.
    Es war die längste Minute meines Lebens.
    Eine Minute beim Zahnarzt ist ja schon lang. Eine Minute Musikantenstadl ist noch länger. Aber die Minute, die so ein blöder
     Schwangerschaftstest braucht, um sich zu entscheiden, ob er nun einen zweiten Strich haben wird oder nicht, ist die härteste
     Geduldsprobe der Welt.
    Noch härter war es aber für mich, den zweiten Strich zu sehen.
    Ich überlegte abzutreiben, aber ich konnte den Gedanken daran kaum ertragen. Ich hatte gesehen, wie meine beste Freundin Nina
     das mit neunzehn Jahren nach unserem Italienurlaub tun musste und wie sehr sie dabei gelitten hatte. Mir war durchaus klar,
     dass ich bei aller Härte, die ich mir als Talkshow-Moderatorin angewöhnt hatte, mit diesen Gewissensqualen viel schlechter
     klarkommen würde als Nina.
    Es folgten also neun Monate, die mich sehr verunsicherten: Während ich Panik schob, kümmerte sich Alex extrem |12| lieb um mich und freute sich unglaublich auf das Kind. Das machte mich irgendwie wütend, fühlte ich mich dadurch doch umso
     mehr als Rabenschwangere.
    Überhaupt war für mich der ganze Schwangerschaftsprozess unheimlich abstrakt. Ich sah Ultraschallaufnahmen und fühlte Tritte
     gegen die Bauchwand. Aber dass da ein kleiner Mensch in mir wuchs, konnte ich nur in ganz wenigen, kurzen Momenten des Glücks
     begreifen.
    Die meiste Zeit war ich damit beschäftigt, mich mit Übelkeiten und Hormonschwankungen herumzuschlagen. Und mit Schwangerschaftskursen,
     in denen man «seinen Uterus abspüren» sollte.
    Sechs Wochen vor der Geburt hörte ich auf zu arbeiten und bekam auf unserem Sofa einen Eindruck davon, wie sich gestrandete
     Wale fühlen mussten. Die Tage waren zäh, und als meine Fruchtblase

Weitere Kostenlose Bücher