Mieses Karma
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|7| 1. KAPITEL
Der Tag, an dem ich starb, hat nicht wirklich Spaß gemacht. Und das lag nicht nur an meinem Tod. Um genau zu sein: Der schaffte
es gerade so mit Ach und Krach auf Platz sechs der miesesten Momente des Tages. Auf Platz fünf landete der Augenblick, in
dem Lilly mich aus verschlafenen Augen ansah und fragte: «Warum bleibst du heute nicht zu Hause, Mama? Es ist doch mein Geburtstag!»
Auf diese Frage schoss mir folgende Antwort durch den Kopf: «Hätte ich vor fünf Jahren gewusst, dass dein Geburtstag und die
Verleihung des Deutschen Fernsehpreises mal auf einen Tag fallen würden, hätte ich dafür gesorgt, dass du früher zur Welt
gekommen wärst. Mit Kaiserschnitt!»
Stattdessen sagte ich nur leise zu ihr: «Es tut mir leid, mein Schatz.» Lilly knabberte traurig am Ärmel ihres Pumuckl-Pyjamas,
und da ich diesen Anblick nicht länger ertragen konnte, fügte ich schnell den magischen Satz hinzu, der jedes traurige Kindergesicht
wieder zum Lächeln bringt: «Willst du dein Geburtstagsgeschenk sehen?»
Ich hatte es selbst noch nicht gesehen. Alex musste es besorgen, da ich vor lauter Arbeit in der Redaktion schon seit Monaten
nicht mehr irgendwo einkaufen war. Ich vermisste das auch nicht. Für mich gab es kaum etwas Nervigeres als in der Supermarktschlange
wertvolle Lebenszeit zu vergeuden. Und für all die schönen Dinge des Lebens, von Kleidung |8| über Schuhe bis hin zu Kosmetika, musste ich nicht einkaufen gehen. Die bekam ich dankenswerterweise als Kim Lange, Moderatorin
von Deutschlands wichtigster Polit-Talkshow, von den nobelsten Firmen gestellt. Die «Gala» zählte mich dementsprechend zu
den «bestangezogenen Frauen um die dreißig», während eine andere große Boulevardzeitung mich weniger schmeichelhaft als «leicht
stämmige Brünette mit deutlich zu dicken Schenkeln» bezeichnete. Ich lag mit der Zeitung im Clinch, weil ich verboten hatte,
Fotos von meiner Familie abzudrucken.
«Hier ist eine kleine, wunderschöne Frau, die will ihr Geschenk haben», rief ich durchs Haus. Und aus dem Garten tönte es
zurück: «Dann soll diese wunderschöne kleine Frau mal herauskommen!» Ich nahm meine aufgeregte Tochter an die Hand und sagte
zu ihr: «Zieh dir aber deine Hausschühchen an.»
«Ich will die nicht anziehen», motzte Lilly.
«Du erkältest dich sonst!», warnte ich. Aber sie antwortete nur: «Ich hab mich gestern auch nicht erkältet. Und da hatte ich
auch keine Hausschuhe an.»
Und eh ich ein vernünftiges Gegenargument für diese abstruse, aber in sich geschlossene Kinderlogik gefunden hatte, lief Lilly
auch schon barfuß in den vom Morgentau glänzenden Garten.
Geschlagen folgte ich ihr und atmete tief ein. Es roch nach «bald ist Frühling», und ich freute mich zum tausendsten Mal mit
einer Mischung aus Verblüffung und Stolz darüber, dass ich meiner Tochter so ein tolles Potsdamer Haus mit einem Riesengarten
bieten konnte, war ich doch selbst in einem Berliner Plattenbau aufgewachsen. Unser Garten dort hatte lediglich aus drei Blumenkästen
bestanden, bepflanzt mit Geranien, Stiefmütterchen und Zigarettenkippen.
|9| Alex erwartete Lilly an einem von ihm selbst zusammengezimmerten Meerschweinchenkäfig. Er sah mit seinen dreiunddreißig Jahren
immer noch verdammt gut aus – wie eine jüngere Version von Brad Pitt, nur dankenswerterweise ohne dessen langweiligen Schlafzimmerblick.
Ich wäre wohl von seinem Aussehen hin und weg gewesen, wenn noch alles okay zwischen uns gewesen wäre. Doch leider war unsere
Beziehung zu diesem Zeitpunkt so stabil wie die Sowjetunion 1989. Und sie hatte ähnlich viel Zukunft.
Alex kam nicht damit klar, mit einer erfolgreichen Frau verheiratet zu sein, und ich nicht damit, mit einem frustrierten Hausmann
zusammenzuleben, den es von Tag zu Tag fertiger machte, dass er sich auf dem Spielplatz von anderen Müttern anhören musste:
«Es ist ja sooo toll, wenn ein Mann sich um die Kinder kümmert, anstatt dem Erfolg hinterherzujagen.»
Entsprechend begannen Gespräche zwischen uns oft mit «Deine Arbeit ist dir wichtiger als wir» und endeten noch häufiger mit
«Wehe, du wirfst jetzt den Teller, Kim!».
Früher folgte darauf wenigstens noch Versöhnungssex. Jetzt hatten wir schon seit drei Monaten keinen mehr. Was schade war,
denn unser Sex war ordentlich bis großartig, je nach Tagesform. Und das will was heißen, denn mit all den Männern, die ich
vor Alex
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