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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Bote lieferte das Versace-Kleid. Der große Moment
     war gekommen: Ich packte es vorsichtig aus der Folie, mit der festen Absicht, vor Freude in die Luft zu springen. Doch meine
     Beine blieben fest im Boden verwurzelt. Ich war zu geschockt. Das Kleid war blau! Es sollte aber verdammt nochmal nicht blau
     sein! Und auch nicht trägerlos! Die Idioten hatten mir das falsche Kleid geschickt!
    Ich rief sofort bei dem Botendienst an: «Hier ist Kim Lange. Ich habe das falsche Kleid bekommen.»
    «Wieso?», fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
    |26| «Das frag ich Sie!», erwiderte ich, meine Stimme eindeutig im oberen Frequenzbereich.
    «Hmm   …», kam es zurück, und ich wartete darauf, dass sich dem Laut noch ein paar Worte anschließen würden. Sie taten es nicht.
    «Vielleicht sollten Sie mal in Ihren Unterlagen nachsehen?», schlug ich vor. Mit meiner Stimme hätte man Glas zerschneiden
     können.
    «Gut. Mach ich», kam es in gelangweiltem Tonfall zurück. Diesem Mann waren gerade andere Dinge wichtiger: Buchhaltung, Fernsehen,
     Nasepopeln.
    «Ich muss in einer Stunde zur Verleihung des Deutschen Fernsehpreises», drängelte ich.
    «Deutscher Fernsehpreis, nie von gehört», erwiderte er.
    «Hören Sie, Ihre intellektuellen Lücken interessieren mich nicht. Entweder Sie schauen jetzt nach, wo mein Kleid abgeblieben
     ist, oder ich werde dafür sorgen, dass Ihr Laden nie wieder einen Auftrag aus der Fernsehbranche bekommt.»
    «Kein Grund, sich so aufzuregen. Ich ruf gleich zurück», sagte er und legte auf.
    «Gleich» war fünfundzwanzig Minuten später.
    «Tut mir furchtbar leid, Ihr Kleid ist in Monte Carlo.»
    «Monte Carlo!!», kiekste ich hysterisch.
    «Monte Carlo», erwiderte er ohne jegliche Gemütsregung.
    Der Mann erklärte mir, dass das Kleid in meinen Händen eigentlich für die Begleitung (höfliche Umschreibung für Callgirl)
     eines Software-Unternehmers bestimmt war. Sie hatte jetzt mein Kleid. In Monte Carlo. Es gab also keine Chance, es rechtzeitig
     wiederzubekommen. Der Mann bot mir als Entschädigung einen Gutschein an, der mir auch nicht sonderlich weiterhalf. Ich knallte
     den Hörer auf die |27| Gabel und belegte den Kerl und all seine Nachfahren mit einem Durchfall-Fluch.
    Ich probierte aus lauter Verzweiflung das blaue Kleid an und stellte zu meinem Leidwesen fest: Die junge «Begleitung» hatte
     eine wesentlich schlankere Figur als ich.
    Ich betrachtete mich im Spiegel und sah, dass das enge Kleid meine Brüste prall hervorhob, ebenso meinen Po. Und ehrlich gesagt,
     das hatte was. Ich sah sexy aus wie noch nie, und das Kleid kaschierte meine Schenkel sogar noch besser als das ursprünglich
     geplante. Da ich als Alternative nur meine Jeans und einen Rollkragenpulli hatte, dessen Kragen dank Loreleis Haarschnitt
     voller kleiner kratziger Haarenden war, beschloss ich, das Kleid zur Verleihung zu tragen. Mit der beiliegenden schwarzen
     Stola würde es schon gehen. Ich durfte mich nur nicht zu heftig bewegen.
    So angezogen, fuhr ich im Fahrstuhl nach unten in die Hotellobby, und die Wirkung war nicht übel: Alle Männer starrten mich
     an. Und keiner von ihnen verschwendete auch nur eine Sekunde damit, mein Gesicht anzuschauen.
    Am Hoteleingang wartete Carstens und war schwer beeindruckt: «Mann, Süße, dieses Kleid verschlägt mir den Atem.» Ich fühlte,
     wie das Kleid mir den Brustkorb abschnürte, und keuchte: «Mir auch.»
    Eine schwarze BM W-Limousine fuhr vor. Der Fahrer öffnete die Tür für mich und hielt sie dann die vollen zweieinhalb Minuten auf, die ich brauchte, um
     mich und das Kleid so im Fond des Wagens zu verstauen, dass Letzteres nicht durch eine ungelenke Bewegung riss.
    Im abendlichen Regen fuhren wir durch das Gewerbegebiet Köln-Ossendorf, dem der Charme einer postatomaren Endzeitwelt anhaftete
     und in dem der Fernsehpreis-Veranstaltungsort |28| Coloneum lag. Ich blickte auf verlassene Hallen mit zerstörten Fenstern. Und dabei durchströmte mich wieder die Einsamkeit.
    Um gegen sie anzukämpfen, schnappte ich mir mein Handy und rief zu Hause an, aber niemand ging ran. Höchstwahrscheinlich wirbelte
     die Kindergeburtstagshorde gerade ein letztes Mal durch unser Haus wie ein Tornado. Alex würde sie mit seiner guten Laune
     befeuern. Und alle hätten Spaß. Und ich war nicht dabei. Mir ging es elend. Hundeelend.
    Erst als unsere Limo durch drei Absperrungen gewunken wurde und an dem roten Teppich hielt, verscheuchte das aufkommende Adrenalin
    

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