Mieses Karma
nominiert.» Für
eine Sekunde war ich erleichtert: Es ging nicht um Kohn. Doch gleich darauf musste ich schlucken. Ich war tatsächlich tierisch
nervös, hatte es nur wegen meines schlechten Gewissens gegenüber Lilly den ganzen Morgen komplett verdrängt. Aber nun war
die Aufregung wieder mit voller Kraft da: Würde ich heute Abend den Preis gewinnen? Würden alle Kameras mein strahlendes Siegerlächeln
einfangen? Oder bin ich in der morgigen Sonntagszeitung nur «die leicht stämmige Verliererin mit deutlich zu dicken Schenkeln»?
Meine Finger näherten sich nervös dem Mund, und ich |18| konnte meine Zähne gerade noch in letzter Sekunde davon abbringen, meine Nägel zu kauen.
In Köln angekommen, checkten wir im Hyatt ein, dem Nobelhotel, in dem alle Nominierten für den Deutschen Fernsehpreis untergebracht
waren. Ich warf mich in meinem Zimmer aufs weiche Bett, zappte im Zehntel-Sekunden-Rhythmus durch die Fernsehprogramme, landete
dabei beim Pay-TV und fragte mich: Wer zum Teufel gibt zweiundzwanzig Euro aus für einen Pornofilm mit dem Titel «Ich tanze
für Sperma»?
Ich beschloss, auf dem Altar dieser Frage nicht allzu viele graue Zellen zu opfern und in die Hotellobby zu gehen, um einen
dieser chinesischen Beruhigungstees zu trinken, die leicht nach Fischsuppe schmecken.
In der Lobby spielte ein Pianist so nervtötend Balladen von Richard Clayderman, dass ich mir ausmalte, wie er und ich uns
in einem Wild-West-Saloon befanden: er seine Weisen spielend, ich einen Lynchmob organisierend.
Und als ich in Gedanken gerade mit meinen Jungs beim Hufschmied von Dodge City Teer und Federn organisierte, sah ich plötzlich … Daniel Kohn.
Er checkte an der Rezeption ein, und mein Puls begann zu rasen. Ein Teil von mir hoffte, dass Kohn mich sieht. Ein weiterer
Teil betete darum, dass er sich sogar zu mir setzt. Doch der größte Teil von mir fragte sich, wie er die beiden anderen blöden,
nervigen, mein Leben durcheinanderbringenden Teile endlich zum Schweigen bringen konnte.
Tatsächlich sah mich Daniel und lächelte mir zu. Der Teil von mir, der sich das gewünscht hatte, verfiel in einen enthemmten
Freudentaumel und schrie – wie weiland Fred Feuerstein: «Yapadapaduh!»
Daniel kam auf mich zu und setzte sich mit einem netten |19| «Hi, Kim» an den Tisch. Der Teil, der darum gebetet hatte, schnappte sich daraufhin Teil eins und sang nun gemeinsam mit ihm:
«Oh Happy Day!»
Als Teil drei Protest einlegen wollte, schnappten sich ihn die beiden anderen Teile, knebelten ihn und zischten ihm zu: «Halt
endlich dein Maul, du olle Spaßbremse!»
«Schon aufgeregt wegen heute Abend?», fragte Daniel, und ich bemühte mich, meine Nervosität zu überspielen und eine möglichst
schlagfertige Antwort zu bringen. Nach langen Sekunden erwiderte ich «Nein» und musste feststellen, dass diese Antwort in
Sachen Schlagfertigkeit doch etwas zu wünschen übrigließ.
Daniel blieb gelassen: «Musst du auch nicht, denn du gewinnst garantiert.» Er sagte es so charmant, ich hätte ihm beinahe
geglaubt, dass er es aufrichtig meint. Aber natürlich war er felsenfest davon überzeugt, selbst zu gewinnen.
«Und wenn du gewonnen hast, müssen wir darauf anstoßen», sagte er.
«Das müssen wir», entgegnete ich. Diese Antwort war zwar auch nicht gerade brillant, aber immerhin hatte ich drei Worte sinnvoll
aneinandergereiht. Das war schon ein kleiner Fortschritt in Sachen Souveränität.
«Stoßen wir auch an, wenn ich gewinne?», fragte Daniel nach.
«Natürlich tun wir das», erwiderte ich mit leichtem Zittern in der Stimme.
«Dann wird es in jedem Fall ein schöner Abend.»
Daniel stand sichtlich zufrieden auf – er hatte, was er wollte – und sagte: «Sorry, ich muss los. Ich muss mich frisch machen.»
Ich schaute ihm nach, sah seinen tollen Hintern und phantasierte, wie der wohl unter der Dusche aussah. Und |20| bei diesem Gedanken knabberte ich nun doch an meinen Fingernägeln.
«Was ist denn mit deinen Nägeln passiert, die sehen ja aus wie nach einer Hungersnot?», fragte Lorelei, meine Stylistin, als
ich mich von ihr im Friseursalon des Hotels aufpeppen ließ. Neben mir war die geballte Weiblichkeit der Branche versammelt:
Schauspielerinnen, Moderatorinnen, Dekoschnecken von Prominenten. Keine von ihnen war für irgendeinen Preis nominiert, es
ging ihnen nur darum, beim «Sehen und Gesehenwerden» die Konkurrenz auszustechen. Sie wünschten mir alle viel Glück
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