Milchbart (German Edition)
Und all die vergessenen Jahre zuvor seid ihr enge Freunde gewesen, Vertraute, Gefährten!
Aber ich kenne ihn doch gar nicht, hatte sich Fanni gewehrt, und die Gedankenstimme hatte sie ein »verstocktes Weibsbild« genannt.
Erwartungsgemäß war Leni es gewesen, die Fannis Dilemma auf den Punkt brachte. »Die Situation stellt sich folgendermaßen dar«, hatte sie eines Abends erklärt, nachdem sie gerade geschildert hatte, wie Fanni (sie war drauf und dran gewesen, den Mord an einem Altenpfleger aufzuklären) von Sprudel aus dem Kühlkatafalk einer Leichenkammer gerettet worden war, in den ein Verdächtiger sie gesteckt hatte, um sie dort ihr Leben beschließen zu lassen. »Von Hans Rot, den du als deinen Ehemann betrachtest, bist du quasi geschieden. Sprudel, zu dem du inzwischen gehörst, erkennst du nicht mehr. Das wirft die heikle Frage auf: Mit wem von beiden sollst du dich zusammentun?«
»Alles, was an Wissen in mir selbst steckt«, hatte Fanni geantwortet, »ist, dass ich seit November ’74 mit Hans verheiratet bin. Die Partnerschaft mit ihm kann ich im Geist durchleben. Sie ist wirklich, real, greifbar, echt – mit all ihren Unzulänglichkeiten. Alles, was du von mir und Sprudel erzählst, klingt dagegen wie ein Traum – und Träume kann man nicht leben.«
Leni hatte begreifend genickt, doch dann hatte sie sehr ernst gefragt: »Willst du dir und Sprudel nicht eine Chance geben, bevor du dich wieder mit Haut und Haaren von Hans Rot und deinem altem Leben vereinnahmen lässt?«
Vereinnahmen, hatte Fanni gedacht. Hans tut so, als hätte ich mich nie losgerissen. Habe ich es denn überhaupt?
»Mama«, war Leni fortgefahren, »du solltest dir Zeit geben, bevor du eine Entscheidung triffst. Wer weiß, vielleicht kehren ja die Erinnerungen doch noch unbeschadet zurück.«
Auf Fannis nachdenkliches Nicken hin hatte sie dann den Vorschlag mit der Hornschuh-Klinik gemacht. »Ein Aufenthalt dort kann dir die Atempause verschaffen, die du brauchst. Außerdem liegt sie keine zehn Kilometer von Erlenweiler entfernt und keine zwölf von Birkenweiler, sodass dich Hans Rot und Sprudel täglich besuchen können.«
Fanni wusste bereits, dass Sprudel ein Haus an der ligurischen Küste besaß, wo es ihn nach seiner Pensionierung hingezogen hatte, und dass er bald darauf durch eine unerwartete Erbschaft zu einem Anwesen in Birkenweiler gekommen war.
»Sprudel wird einstweilen hierbleiben?«, fragte sie. »In diesem ererbten Haus, von dem du mir erzählt hast?«
Leni bejahte. »Inzwischen gehört es allerdings mir. Sprudel hat es mir überschrieben, weil er nicht will, dass es nach seinem Tod in fremde Hände fällt.« Sie lächelte spitzbübisch. »Aber ich lasse ihn drin wohnen – zumindest solange er die Hecke schneidet.«
Bei all der Vorarbeit, die Leni bezüglich Fannis zeitweiliger Unterbringung geleistet hatte, wäre es nicht nur töricht, sondern auch undankbar gewesen, hätte Fanni den Vorschlag ihrer Tochter als untauglich abgetan. Leni hatte sogar die Kostenfrage schon geklärt: Fanni müsse sich um gar nichts kümmern, die Geldquellen würden reichlich sprudeln. Fanni konnte sich denken, welche sie angezapft hatte, und Leni bestätigte ihre Vermutung.
Sprudel hatte sofort angeboten, sämtliche Kosten zu übernehmen, was Hans Rot natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Lenis Zwillingsbruder Leo hatte Geld angeboten, und Leni selbst hatte vorgehabt, einen Teil beizutragen, was sich letztendlich als überflüssig erwies.
»Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass dein Gehirn all die Erinnerungen, die es stillgelegt hat, bald wieder zulässt«, hatte Leni gesagt, während sie Fanni dabei half, das Zimmer zu beziehen, in dem sie voraussichtlich vier Wochen lang wohnen würde.
Zwei Tage später waren Leni und ihr Mann Marco endlich in die Flitterwochen gefahren, die sie wegen der Ereignisse in Marokko hatten verschieben müssen.
»Du rechnest damit, dass er dich da rausboxt«, sagte Hans Rot.
Obwohl Fannis Gedanken noch bei Leni und Marco verweilten (sie sah das gut aussehende Paar sich gegenseitig die Ringe anstecken, während sich ihr Bild im Wasser des Moorsees auf dem Hochschachten spiegelte, an dessen Ufer sie sich das Jawort zu geben entschieden hatten), wusste sie sofort, was Hans meinte.
Hans bringt diesen Namen einfach nicht über die Lippen!
»Er«, sagte Fanni scharf, »heißt Sprudel, Johann Sprudel. Er war vor seiner Pensionierung Kriminalbeamter; und nicht allein deshalb kann
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