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Milchbart (German Edition)

Milchbart (German Edition)

Titel: Milchbart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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hatte mit Dekoartikeln nie viel am Hut gehabt, besaß wenig Talent dafür, Stoffe zu drapieren oder Gestecke zu fabrizieren. Sie lehnte weihnachtliche Lichterketten ebenso ab wie österliche Eierbäume oder Zierrat aus Filz und Strohgeflecht. Seitdem die Kinder erwachsen waren (zuvor hatte sich Fanni mit zunehmendem Widerwillen weitgehend an das gängigste Brauchtum gehalten), pflegte ihr Hans Rot alljährlich vorzuwerfen, dass sie die Einzigen im ganzen Landkreis seien, die keinen Adventskranz hätten. Einmal hatte er sogar persönlich einen gekauft und jeden Adventssonntag die vorgeschriebene Zahl von Kerzen angezündet.
    Der Speisesaal der Parkklinik war hell, geräumig und in einer Weise dekoriert, die Fannis Abneigung gegen Kunstblumen, Raffgardinen und Zimmerbrunnen in Frage stellte.
    Beifällig nickend ging sie an der hüfthohen Vase vorbei, in der goldfarbene Schilfwedel zwischen Kiefernzweigen steckten.
    Wie sich das Arrangement wohl in deinem Wohnzimmer in Erlenweiler machen würde?
    Wenn ich richtig informiert bin, habe ich in Erlenweiler kein Wohnzimmer mehr, konterte Fanni, weil ich vor einiger Zeit meinen Anteil an unserem gemeinsamen Haus an Hans verkauft habe.
    Sie steuerte geradewegs auf Alexander zu, der einen Ecktisch gewählt hatte und ganz allein dort saß.
    Der Saal war mit einem knappen Dutzend Tischen mit je vier Stühlen bestückt. Viel zu viel Platz für dreiundzwanzig Patienten, aber Verwandte und Freunde der Patienten waren zu allen Mahlzeiten hochwillkommen, sofern sie sich bei der Hausverwaltung frühzeitig anmeldeten und Vorkasse leisteten.
    »Darf ich dich angrapschen?«, fragte Alexander.
    »Musst du das wirklich ständig fragen?«, gab Fanni zurück, ohne zu überlegen, was sie da tat.
    Womöglich hast du jetzt zunichtegemacht, was immer die Therapierung bei Milchbart bisher erreicht haben mag!
    Erschrocken legte sie beide Hände über den Mund. Wie konnte sie sich Frau Bogners Instruktionen widersetzen, die sicherlich immens wichtig waren, denn sonst hätte die Therapeutin wohl kaum zugelassen, dass Alexander sogar Patientinnen auf diese Weise belästigte. Was würde er jetzt tun?
    Alexander tat, als ob er sie nicht gehört hätte, und fragte noch einmal.
    Fanni atmete erleichtert aus und antwortete: »Nein.«
    Da stand er auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht.
    Nachdem Fanni Platz genommen und auch er sich wieder hingesetzt hatte, sagte er: »Wahrscheinlich müsste ich die Frage gar nicht mehr stellen. Frau Bogner meinte heute Morgen, ich wäre längst so weit.«
    Wurde aber auch Zeit! Heißt es nicht, er wäre schon drei Wochen hier?
    »Wissen Sie, Frau Rot«, fuhr Alexander fort, »ich benutze die Frage wie ein Brückengeländer, nach dem man automatisch greift.«
    »Verstehe«, antwortete Fanni. »Was ich allerdings nicht verstehe, ist, wie es dazu kam, dass du dir so ein Geländer basteln musstest.«
    Alexander sah sie befangen an.
    Fanni tat es bereits leid. Wie konnte sie nur eine derart persönliche Frage stellen?
    Schwester Rosa servierte ihnen die Suppe.
    Was hat Gollum eigentlich im Speiseraum zu suchen? Dieses Wesen taucht bevorzugt dort auf, wo sich gerade am meisten tut!
    Fanni bedankte sich höflich, als Schwester Rosa den Teller vor sie hinstellte, und setzte hinzu: »Sie haben ja einen sehr ausgedehnten Arbeitsbereich.«
    »Allerdings«, antwortete Schwester Rosa, die für ihren Auftritt im Speiseraum den weißen Kittel abgelegt hatte und sich in einem grauen Rock mit heller Bluse zeigte. »Man legt eben Hand an, wo es gerade nottut. Ein bisschen flexibel muss man in einem solchen Haus schon sein.«
    Alexander aß ein paar Löffel voll Suppe, dann schaute er auf und sagte: »Flexibel! Wenn Sie mich fragen, leidet Schwester Rosa unter einem ausgeprägten Kontrollwahn. Sobald jemand furzt, will sie wissen, warum.« Auf Fannis indignierten Blick hin lächelte er entschuldigend. »Tut mir leid. Ich wollte damit nur sagen, dass sie sich so ziemlich um alles kümmert, was hier abläuft. Sie hält sich offensichtlich für den guten Geist der Klinik und für die rechte Hand des Professors.«
    »Du hast sie gar nicht gefragt«, sagte Fanni.
    Alexander zog ein Gesicht. »Wir haben es in der vergangenen halben Stunde schon dreimal durchgespielt, Schwester Rosa und ich.«
    »Ach«, entgegnete Fanni. »Manchmal wird es dir also selbst zu viel.«
    Alexander wirkte verwirrt, wusste offenbar nicht, was er darauf sagen sollte.
    Schweigend löffelten sie die Teller leer.
    Ist dir

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