Miles Flint 05 - Paloma
hinunter. »Eher hätte ich mein Leben gegeben und einen abscheulichen Tod in Kauf genommen, als zuzugeben, dass ich irgendetwas mit diesen Fällen zu tun gehabt habe.«
»Und jetzt denken Sie nicht mehr so?«
Claudius strich beinahe zärtlich mit der Hand über die Oberkante der Rückenlehne. »Ich schätze, ich habe nie geglaubt, jemand könnte uns finden. Ich schätze, ich habe nie daran geglaubt, dass uns je jemand zur Rechenschaft ziehen würde. Und hier bin ich nun gelandet.«
»Sie sagten, Ihrem Sohn sei der gleiche Vorschlag unterbreitet worden?«
»Entweder, sie haben es noch einmal getan, was ich bezweifle. Ich habe nichts Derartiges gehört, und glauben Sie mir, darauf achte ich. Oder man hat meinem Sohn gesagt, er solle uns ausliefern, die Strafe bezahlen und den Klienten verraten. Gerüchten zufolge sieht sich dieser Klient gerade nach neuen Anwälten um. Also hat mein Sohn sich die Sache wohl überlegen müssen.«
»Ihr Sohn hat einen Ausweg gesucht, einen, der nichts mit Verschwinden zu tun hat«, riet Nyquist in der Hoffnung, richtig zu liegen.
Claudius nickte. »Ich nehme an, mein Sohn war auf der Suche nach einem bequemen Ausweg. Ich denke, er wollte die Dateien. Die hätte er herausgegeben, vielleicht auch noch ein bisschen Geld, aber er hätte nichts zugegeben. Immerhin hatte er auch nichts damit zu tun.«
»Aber Sie und Ihre Frau schon«, sagte Nyquist.
»Ein guter Anwalt würde vorbringen, dass der wahre Übeltäter in diesem Fall meine Frau war. Die Dateien enthalten keinen Beweis dafür, dass ich dem Klienten zu irgendetwas anderem geraten habe als dazu, sich an den Rat zu halten, den meine Frau ihm Jahre zuvor erteilt hat. Und wenn ich keine Unterlagen darüber hatte, was meine Frau empfohlen hat, müsste der Anwalt lediglich vorbringen, dass ich noch den folgenden Satz hinzugefügt habe: ›Denn beim ersten Mal schien es gut funktioniert zu haben.‹ Mich trifft keine Verantwortung. Die Kanzlei trifft keine Verantwortung. Wir sind die Person losgeworden, auf die all der Ärger zurückgeht.«
»Ihre Frau«, sagte Nyquist.
»Indem wir sie gefeuert haben, nicht indem wir sie umgebracht haben«, sagte Claudius.
»Aber Sie haben sie nicht gefeuert.«
»Es hat aber so ausgesehen, als hätten wir es getan.«
»Nur, dass sie dem widersprochen hätte«, wandte Nyquist ein.
»Möglicherweise.« Claudius ballte eine Faust. »Mein Sohn ist ein guter Anwalt.«
»Und das bedeutet?«
»Das bedeutet«, sagte Claudius, und nun sprach er sehr, sehr langsam, »dass es besser ist, die Dateien zu haben und auf den Zeugen zu verzichten, als den Zeugen zu haben und auf die Dateien zu verzichten.«
»Sie denken, Ihr Sohn hätte Ihre Frau umgebracht«, schlussfolgerte Nyquist.
»Ich denke, mein Sohn will seinen Arsch retten.« Claudius schlug einmal auf die Rückenlehne des Sessels und hielt die Faust wieder ruhig.
»Aber er hat die Dateien nicht bekommen«, gab Nyquist zu bedenken.
»Das wird er noch.« Mit leeren Augen blickte Claudius auf. »Er ist ein guter Anwalt. Was er haben will, das bekommt er auch.«
58
V an Alen führte Flint aus ihrem Büro hinaus und schickte zwei Assistenten hinein, die bei Ignatius bleiben sollten. Ihre Ausrede lautete, ihre Assistenten sollten ihm einen Fragebogen für neue Klienten vorlegen, doch damit konnte sie niemanden hinters Licht führen, schon gar nicht Ignatius. Er wusste so gut wie alle anderen Beteiligten, dass van Alen mit Flint unter vier Augen sprechen wollte.
Ein paar Angestellte, die sich über das Großraumbüro verteilten, schienen von Flints Anblick überrascht zu sein. Entweder hatten sie nicht gewusst, dass er da war, oder sie hatten es schlicht vergessen. Das Büro badete im Kuppeltageslicht, das nur wenig gedämpft durch die Fenster zu beiden Seiten hereindrang.
Van Alen brachte ihn in ein kleines Besprechungszimmer mit vertäfelten Wänden und einem kleinen Holztisch in der Mitte. Hier war das Fenster durch einen Vorhang abgedeckt, sodass es schien, als wäre wieder Nacht.
»Glauben Sie ihm?«, fragte sie.
»Ignatius?« Flint nahm auf einem der Stühle Platz. Das Polster war dick, aber hart, irgendein lederähnliches Material, das vornehmlich optischen Zwecken und weniger der Bequemlichkeit diente. »Ich weiß es nicht.«
»Wir werden herausfinden müssen, ob er die Wahrheit gesagt hat«, meinte sie. »Denn wenn ich ihm helfe und die das irgendwie gegen mich verwenden …«
Flint rieb sich mit einer Hand das Gesicht. Er
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