Miles Flint 05 - Paloma
Sie rannte die Treppe hinauf, ohne sich darum zu kümmern, ob er ihr folgte. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und erkannte schnell, wie sehr sie außer Form geraten war.
Was würde sie tun, wenn sie einem der Attentäter begegnete? Sie wusste es nicht. Sie hatte nicht einmal eine Waffe.
Und sie fragte sich, ob Flint eine hatte.
Die Tür zum neunten Stock stand offen. Der Korridor war verlassen. Schweratmend rannte sie den Gang hinunter und hämmerte an die einzige Wohnungstür.
Flint stellte sich neben sie und schob sie zur Seite. Dann tat er etwas – sie konnte nicht sehen, was –, und die Tür öffnete sich.
Das Blut trieb sie voran. Ein Mann lag ausgestreckt in der Nähe einer Wand. Seine Hände waren verschwunden. DeRicci kannte ihn nicht.
Sie ging weiter, obwohl Flint sie anbrüllte. Aber sie hörte nicht einmal, was er sagte – sie wollte nicht hören, was er sagte – und schließlich fand sie sich da wieder, wo einmal die Küche gewesen war.
Ehe jemand sie zerschossen hatte.
Ehe Nyquist sie zerschossen hatte.
In dem verzweifelten Versuch zu überleben.
67
M iles!«, schrie DeRicci. »Miles, hilf mir! Er atmet noch.«
Flint hatte den Raum mit seinen Sensoren untersucht, um sicherzustellen, dass ihnen kein bixinischer Attentäter auflauerte. Er nahm an, dass der schleimige Fleck an der Wand einen der Attentäter darstellte, aber den anderen konnte er nicht sehen.
»Miles!«, rief DeRicci. »Komm!«
Sie kniete neben Nyquist und presste ihre Hände auf eine Stelle in der Nähe seiner Brust. Er blutete zu stark, als dass eine Person die Blutung hätte stoppen können.
Flint ging nicht zu ihr. Stattdessen machte er kehrt, lief zum Korridor und rief nach einem Sanitäter. Gleichzeitig schickte er eine Notfallnachricht über seine Links. Er war nicht sicher, was hier drin funktionieren würde und was nicht. Er wusste nur, dass er beides unbedingt tun musste.
DeRicci rief immer noch nach ihm, und als er hineinrannte, riss er unterwegs einen weichen Mantel von der Garderobe. Während er zur Küche weiterlief, fing er an, den Mantel zu zerreißen, getragen von der Hoffnung, dass der zweite Attentäter nicht mehr hier war.
Und dann brauchte er sich nicht länger auf seine Hoffnung zu stützen.
Der tote Attentäter lag nur wenige Meter von Nyquist entfernt auf dem Boden.
Es sah aus, als hätte Nyquist wirklich alles gegeben. Er hatte die ganze Küche in Stücke geschossen, und es hatte ihm nichts genützt. Dann hatte er ein gutes, altmodisches Messer entdeckt und das Ding zerschnitten, während er selbst zerschnitten wurde.
Und irgendwie hatte das funktioniert.
Der Attentäter hatte lange genug überlebt, um davonzuschleichen, ehe er schließlich doch zugrunde gegangen war.
Flint nahm an, dass es sich bei den feuchten Spuren in der Umgebung um irgendwelche Körperflüssigkeiten handeln musste, aber das sollten die Tatortspezialisten herausfinden.
Da er und DeRicci nicht angegriffen worden waren, nahm er zudem an, dass es keinen dritten Attentäter gab.
Neben DeRicci, die Druck auf eine Wunde in der Nähe von Nyquists Herz ausübte, ging er in die Knie und schnürte ab, was er zum Abschnüren finden konnte. Nyquists Lider flatterten, aber Flint war nicht überzeugt, dass er etwas sehen konnte.
Dann stürmten die Sanitäter herein und schubsten Flint und DeRicci zur Seite. DeRicci wollte nicht gehen, obwohl sie nun selbst voller Blut war. Offensichtlich waren sie und Nyquist befreundet gewesen, vielleicht sogar mehr als Freunde, nach dem verzweifelten Ausdruck in DeRiccis Augen zu urteilen, und freiwillig würde sie ihn nicht allein lassen.
Flint wollte auch bleiben, doch er wusste, er würde nur im Weg sein. Es war erstaunlich, dass Nyquist es geschafft hatte, diese Dinger niederzuringen. Aber er hätte gewiss nicht überlebt, wären Flint und DeRicci nicht so rasch eingetroffen.
Dieser Gedanke veranlasste ihn, zu dem anderen Mann zu gehen. Dieser Mann musste Claudius Wagner sein, doch Flint konnte sich nicht einmal entfernt vorstellen, wie er vor seinem Tod ausgesehen haben mochte, nur, dass er einen schrecklichen Tod erlitten hatte.
Wie Paloma.
Flint schauderte, und ihm wurde klar, dass es noch nicht vorbei war.
Justinian war dafür verantwortlich. Er hatte die Attentäter wissen lassen, wo sie sowohl seine Mutter als auch seinen Vater finden konnten.
Er hatte von Ferne getötet, genau wie seine Mutter es getan hatte, und sich eingebildet, seine Hände wären sauber, nur weil er
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