Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
höchsten Punkt. Das Dickicht war eine Mischung aus toten Baumstämmen, von Kletterpflanzen überwuchert, und neuen Bäumen, Gerbereiche, kalifornischem Lorbeer, chinesischer Eibe und anderen Arten, die man aus tropischen und subtropischen Regionen importiert hatte, nachdem die einheimische Vegetation weitgehend der ganzjährigen Hitze zum Opfer gefallen war. Formen und Farben der Neuankömmlinge wirkten seltsam im Vergleich zu den herrlichen alten Laubwäldern, die in so vielen von Gregs Kindheitserinnerungen vorkamen.
Das hastig eingeführte Eine-Wohnung-Gesetz hatte dem Gemeinderat ermöglicht, die Chalets und das Hotel zu beschlagnahmen, um Notunterkünfte für Menschen bereitzustellen, die vor dem ansteigenden Meeresspiegel aus tiefliegenden Küstengebieten hatten fliehen müssen. Greg hatte während des PSP-Jahrzehnts in einem der Chalets gewohnt und den Leuten erzählt, er wäre Privatdetektiv, ein perfekter Tarnberuf für jemanden mit seiner Fähigkeit. Es gelang ihm dann sogar, ein paar bezahlte Fälle zu erhalten, die seine Behauptung glaubwürdig machten. Ein paar Jahre nach dem Sturz der PSP trat Eleanor in sein Leben, und gleichzeitig warb ihn das riesige Unternehmen Event Horizon an, um einen Bruch der Sicherheitsvorschriften zu untersuchen. Der Fall erwies sich als weit komplexer und verwickelter, als irgend jemand zu Beginn erkannt hatte, und die Boni und Vergünstigungen, die Greg und Eleanor von der extrem dankbaren Eigentümerin Julia Evans erhielten, reichten, um sich zur Ruhe zu setzen – würden sogar noch für die Enkel reichen. Greg überlegte sich, daß Multimilliardärinnen, besonders solche im Teenager-Alter, keine Vorstellung von kultivierter Zurückhaltung besaßen, jedenfalls nicht, wenn es um Geld ging.
Daraus ergab sich für ihn und Eleanor das Problem, was sie als nächstes tun sollten. Lotusessen war eine feine Sache, darin stimmten beide überein, vorausgesetzt, es diente nur der Erholung vom wirklichen Leben. Einen Teil des Geldes (einen Bruchteil) steckten sie in das heruntergekommene Bauernhaus mit den vernachlässigten Feldern. Nach den Flitterwochen zogen sie dort ein, beide erpicht auf das ruhige und doch geschäftige Leben, das ihnen die Zitrusgehölze boten.
Greg erblickte einen Aschehaufen direkt unterhalb der Chalets, der noch einen rötlichen Schimmer verbreitete. Die Bewohner zündeten jeden Abend ein Lagerfeuer an; sie backten darauf Essen, und es bildete obendrein einen Brennpunkt für die Geselligkeit. Ein anspruchsloser Lebensstil, nicht ganz die archetypische glückliche Armut, aber verdammt dicht dran. Der Umzug über das Wasser hatte nicht nur geographische Veränderungen mit sich gebracht.
Ein hoch mit Heuballen beladener Pferdekarren rumpelte langsam die Hauptstraße von Hambleton entlang, als Eleanor und Greg die Ortschaft erreichten. Eleanor überholte ihn mit elegantem Schlenker; das schlammbespritzte Zugpferd wieherte erschrocken, und der Fuhrmann fuchtelte mit der Faust. Ohne die glänzenden schwarzen Solarzellen auf den Schieferdächern und die Gruppe inzwischen heimisch gewordener Kokospalmen auf dem Friedhof hätte der Weiler als ländliche Szenerie aus dem neunzehnten Jahrhundert durchgehen können. Die Gärten schienen gemächlich mit den Seitenstreifen der Straße zu verschmelzen. Hohe Stümpfe von Rotbuchen und Bergahorn säumten die Straße, überwuchert von Reben, an denen bunte Blütensammlungen hingen, ein grüner Überzug, der den toten Stämmen fast einen Anschein von Leben verlieh. Nur aus der Ferne jedoch; Wind, Entropie und gierige Insekten hatten bereits die Zweige und kleineren Äste angefressen und ausgefranste, blaßgraue Stangen sonnengebleichten Holzes hinterlassen, die aus der zottigen Haut ragten.
Roy Collisters Haus war eines der kleineren, ein paar hundert Meter von Finch’s Arms entfernt. Es verkörperte den Traum vom Ruhestandshäuschen und war Ende des letzten Jahrhunderts auf Mittelschicht getrimmt worden – das gelbgraue Mauerwerk betont, die Fenster doppelverglast, die Backsteinschornsteine repariert. In jüngerer Vergangenheit waren eine Reihe Solarzellen oberhalb der Regenrinnen hinzugekommen, um Energie zu liefern, nachdem schon zu Beginn der PSP-Jahre die Gas- und Stromversorgung abgeschaltet worden waren. Drei sperrige Klimaanlagen waren an der Seitenwand montiert, um die stickige Luft zu entsorgen, die sich unweigerlich in Häusern aus der Zeit vor der Erwärmung bildete. Der vordere Garten setzte sich heute
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