Minus 0.22: Monster In Uns (German Edition)
Meter hohen Holzmauer umzäunt. Das Dorf wurde einst inmitten eines Waldstückes am Ufer erbaut. Zwischen den Häusern und Hütten entfaltete sich die Natur noch in ihrer reinsten Form. Statt einer asphaltierten Straße, leitete nur ein Schotterpfad durch das märchenhafte Dorf, neben dem sich die Wurzeln der kahlen Ahornbäume ihren Weg bahnten. Der verschneite Schotterweg begann am Haupttor und führte bis hin zum Dorfzentrum, wo sich der Weg zu jedem wichtigen Punkt des Dorfes gabelte.
Bereits früh am Morgen beschritt der junge Löckchen den Pfad und wanderte zwischen den kahlen Ahornbäumen, die den Weg säumten. Die ersten Kinder waren ebenfalls auf den Beinen und beschmissen sich mit aus Pulverschnee geformten Geschossen. Erst als Löckchen an ihnen vorbeilief, stoppten sie ihr Spiel, um ihn ja nicht versehentlich zu treffen.
Zufrieden nickte er die respektvolle Geste der Kinder ab. Seit er bei Willi eingestiegen war, war über ein halbes Jahr vergangen. Er startete als ein Niemand, der sich ohne Familie in diesem Dorf beweisen musste. Aufgrund seiner dunklen Hautfarbe, wurde er anfangs von einigen engstirnigen Dorfbewohner gemieden und belächelt. Erst unter Willis Kommando bekam er die Gelegenheit, sich zu beweisen und den Respekt einzufordern, um den er jahrelang gekämpft hatte. Er würde es sich selbst nicht anmaßen, sich einen ganzen Mann zu nennen, da er sich selbst für einen ziemlichen Grünschnabel hielt, doch er war auf dem besten Weg, erwachsen zu werden.
Für ihn gehörte zum Erwachsenwerden natürlich auch Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, von denen er bislang zu wenig sammeln konnte. Deswegen machte er sich jeden Morgen freiwillig auf den Weg zur schönen Bäckersgesellin Rebecca , unter dem scheinheiligen Vorwand, ein ausgewogenes Frühstück für die ganze Mannschaft zu besorgen.
Aufgeregt öffnete er die Glastür zur Bäckerei und wurde von der herzlichen Wärme in der Backstube erschlagen. Die Schneeflocken auf seinem schwarzen Mantel verflüssigten sich, noch bevor Löckchen vor dem Tresen stand und einen Blick auf die Leckereien werfen konnte.
Als die Klingel über der Eingangstür ertönte, kam auch schon Rebecca aus dem Nebenraum geflitzt. An ihren braunen Haaren und roten Bäckchen klebten verwischte Mehlflecken.
„Guten Morgen“, sagte sie mit einem Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte.
„Morgen“, sagte Löckchen und blickte verzaubert in ihre braune Augen.
„Nicht gut geschlafen?“, fragte sie und verwischte die Mehlflecken auf ihren Wangen mit ihrem Kittelärmel. „Du siehst heute etwas verschlafen aus.“
Löckchen, der sich trotz zwei Stunden Schlaf ausgesprochen fit fühlte, wunderte sich über die Bemerkung, ging jedoch gerne darauf ein, um den Smalltalk vor dem Kaufprozedere zu verlängern.
„Ja, es war schon eine lange Nacht. Wir hatten wieder alle Hände voll zu tun...“, sagte er und erzählte fast der Schießerei letzter Nacht, konnte sich jedoch rechtzeitig bremsen. „Und du? Gut geschlafen?“
„Ähm, ja das habe ich“, antwortete Rebecca und ging sofort zum praktischen Teil über. „Das gleiche wie immer?“
Etwas enttäuscht von der schnellen Abfertigung nickte Löckchen die Frage nüchtern ab. „Vier Brötchen, eines davon belegt mit Fisch, zwei Schokocroissants und eine Zimtschnecke.“
Sie griff zur Zange und beförderte die Backwaren in eine große, weiße Tüte. „Das Fischbrötchen ist bestimmt für Willi, oder?“, fragte sie. „Und die Zimtschnecke für Frederick?“
„Wenn Frederick morgens nicht seine Zimtschnecke bekommt, ist er unerträglich.“
„Ist er das nicht auch mit Zimtschnecke?“
„Stimmt auch wieder“, sagte Löckchen schmunzelnd und ärgerte sich über seine typische Unkreativität, wenn er sich mit einem Mädchen unterhielt. Jeden Morgen versuchte er den üblichen Gesprächsrahmen zu sprengen, scheiterte jedoch stets an der selben Stelle. Sobald er versuchte, in seinen nervösen Gedankengängen einen lustigen Spruch oder eine witzige Geschichte zu finden, kam ihm Rebecca zuvor und überreichte ihm die gefüllte Tüte mit Kaffeestückchen. Täglich musste er gleich verzweifelt aussehen, als er die Tüte dankend annahm und sich perplex zum Ausgang drehte. Gestern verlief das Schauspiel bereits nach dem gleichen Drehbuch und auch alle Tage zuvor. Jeden Tag ging er aus der Bäckerei mit dem schlechten Gefühl, nicht gesagt zu haben, was er eigentlich sagen wollte. Jeden Tag schob er sein Versagen
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