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Miramar

Titel: Miramar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagib Machfus
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plötzlich
gestorben?«
    »Aber nein!«
    »Du gefällst dir darin, mit mir zu
spielen!«
    »Ich weiß nichts mehr zu sagen. Ich
verabscheue mich selbst. Das muß ich dir offen gestehen. Du solltest nicht die
Nähe eines Mannes suchen, der sich verabscheut!«
    Ihr starrer Blick zeigt, daß ihre
inneren Kräfte sie verlassen. Dann schaut sie voller Ärger und Verachtung in
eine andere Richtung, als wisse sie nicht, was sie mit sich anfangen soll.
Schließlich sagt sie leise und wie zu sich selbst: »Mein Gott, bin ich dumm!
Dafür muß ich jetzt zahlen! Du hast mich nie Vertrauen spüren lassen, mir kein
Gefühl der Sicherheit gegeben. Wie konnte ich das nur übersehen? Du hast mich
mit deiner verrückten Impulsivität gedemütigt. Ja, du bist verrückt!«
    Ich gebe mich unterwürfig wie ein
gehorsames Kind, das sich seiner Schuld voll bewußt ist, und ziehe es vor zu
schweigen, um vielleicht dadurch der quälenden Situation ein Ende zu bereiten.
Ich vermeide es, sie anzusehen, und ignoriere ihren Blick, das Geräusch ihrer
nervös auf den Schreibtisch klopfenden Finger, ihre unruhigen Atemzüge. Ich
stelle mich tot.
    Laut und vorwurfsvoll dringt ihre
Stimme an mein Ohr: »Hast du mir denn gar nichts mehr zu sagen?«
    Ich verbleibe bei meiner Leichenstarre.
Schroff steht sie auf, und ich erhebe mich gleichfalls. Sie geht hinaus, ich
begleite sie bis auf die Straße. Wir überqueren sie gemeinsam. Dann vergrößert
sie ihre Schritte und gibt mir so zu verstehen, daß ihr meine weitere Gegenwart
unerwünscht ist. Ich bleibe stehen. Meine Blicke folgen ihr wie in einem Traum,
und der Traum wächst und weitet sich aus. Die Wirklichkeit tritt hinter ihm
zurück, versinkt jenseits des Horizonts. Unverwandt schaue ich ihr nach, wie
sie dort dahinschreitet, folge ihrem vertrauten, von mir so geliebten Gang voll
Erstaunen, voller Trauer. Auch in diesem Augenblick des Wahnsinns vergesse ich
nicht, daß jenes gedemütigte Wesen, das da allmählich in der Ferne
verschwindet, im Strom der Passanten aufgeht, daß jenes Wesen meine erste Liebe
war und vielleicht meine letzte Liebe in dieser Welt sein wird. Wenn sie aus
meinem Leben verschwindet, werde ich in einen Abgrund stürzen. Aber obwohl ich
todunglücklich bin, empfinde ich eine seltsame rätselhafte Erleichterung.
    Das Meer erstreckt sich
in sanfter Glätte und lächelndem Blau. Wo ist nur das wütende Toben von
gestern? Die Sonne sinkt und vergoldet mit ihren Strahlen die fransigen Ränder
zarter Lämmerwölkchen. Wo sind die dunklen, sich türmenden Wolken von gestern?
Ein Lufthauch spielt in zärtlicher Liebkosung mit den Blättern der Palmen
entlang der Silsila. Wo sind die brüllenden, wirbelnden Stürme von gestern?
    Ich sehe in Zuchras bleiches Antlitz,
sehe die Tränenspuren auf ihren Wangen, ihren matten Blick, ihre wie
gebrochenen Augen, und mir ist, als schaue ich in einen Spiegel. Als wollte
mich das Leben mit seiner rauhen, grausamen Seite bekannt machen, mit seiner
ungeschminkten Wahrheit, seiner harten, dornigen Oberfläche, mit seinen
enttäuschten Hoffnungen, eingebettet in eine Muschel mit vergifteten Rändern,
mit seinem ewig unergründlichen Wesen, das Abenteurer und Verzweifelte
gleichermaßen anzieht und beiden Nahrung gibt. Zuchra ist ihrer Ehre beraubt
und ihres Stolzes, denn sie ist verlassen worden. Ja, ich schaue in einen
Spiegel.
    Sie wirft mir einen warnenden Blick zu
und verlangt: »Bitte, keinen Tadel und auch keine Vorwürfe!«
    »Ganz wie du willst«, entgegne ich
traurig.
    Ich bin aus der bitteren Begegnung mit
Durrejja noch nicht wieder zu mir gekommen, habe noch nicht die Ruhe gefunden,
sie zu analysieren und zu verstehen. Aber ich bin mir ihrer bis zur Grenze des
Wahnsinns bewußt.
    Und ich bin mir sicher, daß der Sturm
noch kommen wird und daß ich den Höhepunkt der Katastrophe noch nicht erreicht
habe. Ich kann unmöglich schweigen, so versuche ich, sie zu trösten:
»Vielleicht war es ja so am besten!«
    Da sie nicht antwortet, frage ich: »Und
was wird nun?«
    »Ich lebe noch, wie Sie sehen«, murmelt
sie gleichgültig.
    »Und deine Träume, Zuchra?«
    »Ich werde weiter ...«
    Sie sagt das voll hartnäckiger
Entschlossenheit, aber wo ist ihr Herz?
    »Der Kummer wird vergehen, als hätte es
ihn nie gegeben«, versuche ich zu beruhigen, »und du wirst heiraten und Kinder
bekommen!«
    »Mir scheint, das beste, was ich tun
kann, ist, Männer in Zukunft zu meiden«, meint sie bitter.
    Ich muß lachen. Zum ersten Mal seit
langer Zeit. Sie

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