Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miramar

Titel: Miramar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagib Machfus
Vom Netzwerk:
verlasse, ist von Sarhan keine Spur mehr zu sehen.
    Ich gehe zum Atheneus und überlege, ob
ich Durrejja einen Brief schreiben soll, aber meine Besessenheit lahmt meinen
Willen ebenso wie meinen Verstand.
    Dann setze ich mich auf meinen üblichen
Platz im Innenhof des Casinos Pelikan wie jemand, der beschlossen hat
auszuwandern und sich von der Stadt und all ihren Sorgen bereits verabschiedet
hat. Allmählich werde ich ruhiger. Meine Gedanken klären sich. Ich hocke in
meiner Ecke, abgeschirmt von Tischen, um die herum viele Männer und Frauen
sitzen, bestelle einen Cognac, dann noch einen und beobachte den Eingang. Ein
Viertel vor acht erscheint der Held auf der Bildfläche. Er kommt, und vor ihm
her geht Tolba Marzuq! War er es, mit dem er telefoniert hat? Seit wann besteht
zwischen den beiden diese mir völlig überraschende Freundschaft? Sie setzen
sich zehn Tische weiter hin, und der Ober bringt ihnen ebenfalls einen Cognac.
    Ich muß daran denken, daß ich heute
morgen am Frühstückstisch Tolba Marzuqs Vorschlag zugestimmt habe, wir sollten
die Silvesternacht gemeinsam im Monseigneur verbringen. Ja, ich habe
versprochen, die Silvesternacht mit ihnen zu feiern. Aus der Ferne schaue ich
zu, wie sie zusammen trinken, sich unterhalten, miteinander lachen.
    Ich bin darauf bedacht,
daß er mich nicht bemerkt, aber er erblickt mich im Spiegel. Ich tue so, als ob
ich es nicht merke, und verdamme innerlich den unglücklichen Zufall. Die Straße
ist menschenleer. Ich höre seine Schuhe hinter mir quietschen. Ich verlangsame
meinen Schritt, bis er mich fast eingeholt hat und wir auf der leeren Straße
nebeneinanderher eilen. Er bleibt auf meiner Höhe, wirft mir einen zweifelnden
Blick zu, geht dann langsamer, damit er mir seinen Rücken nicht ungeschützt
zuwendet.
    »Sie verfolgen mich!« wirft er mir vor.
»Ich habe Sie von Anfang an beobachtet!«
    »Ja!« entgegne ich kühl.
    »Und warum?« fragt er, noch
vorsichtiger.
    Ich nehme die Schere aus meiner
Manteltasche und stoße hervor: »Um Sie zu töten!«
    »Sie müssen verrückt geworden
sein!«sagt er und starrt auf die Schere.
    Jeder von uns macht sich bereit, sich
auf den anderen zu stürzen oder sich gegen ihn zu verteidigen.
    »Sie sind nicht ihr Vormund!« fährt er
fort.
    »Es ist nicht Zuchras wegen ..., nicht
nur Zuchras wegen.«
    »Aber warum dann?«
    »Ich muß Sie töten, um weiterleben zu
können!«
    »Aber man wird Sie danach ebenfalls
töten, haben Sie das denn gar nicht bedacht?«
    Wieder habe ich das Gefühl, ein
Flüchtling zu sein, der die Stadt mit all ihren Sorgen hinter sich gelassen
hat. Es macht mich taumeln wie in einem Rausch.
    »Woher wußten Sie eigentlich, wo Sie
mich treffen würden?« fragt er mich da.
    »Ich habe gehört, wie Sie in der
Pension telefonierten.«
    »Und da haben Sie den Entschluß gefaßt,
mich umzubringen?«
    »Ja!«
    »Waren Sie dazu nicht schon vorher
entschlossen?«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und
schweige. Aber er gibt nicht auf:
    »In Wirklichkeit wollen Sie das doch
gar nicht!«
    »Doch, ich will es, und ich werde Sie
umbringen!«
    »Stellen Sie sich vor, Sie hätten mich
in jenem Moment nicht gesehen und gehört!«
    »Ich habe es aber getan, und ich werde
Sie töten!«
    »Aber warum denn nur?«
    Wieder weiß ich nicht, was ich sagen
soll, jedoch mein Entschluß, ihn zu töten, steht nun endgültig fest.
    »Deswegen bringe ich dich um!« schreie
ich. »Nimm das ... und das ... !«
    Ich höre Sarhan lachen,
als er mit Tolba Marzuq spricht. Immer wieder einmal steht er auf, geht hinaus
und kommt dann wieder zurück.
    Innerlich verwünsche ich Tolba Marzuq
und sage mir, daß sein Kommen alles verdorben hat. Jedoch nach einer Stunde
erhebt er sich, schüttelt Sarhan zum Abschied die Hand und geht. Sarhan bleibt
allein zurück, und ich sehne mich nach dem Augenblick, in dem diese Pein ihr
Ende findet. Er trinkt weiter, schaut aber ständig nach dem Eingang. Seinen
Blicken ist Unruhe und Anspannung anzumerken. Wartet er noch auf jemanden
anders? Wird dieser andere kommen und damit die Gelegenheit für immer vorbei
sein?
    Der Kellner ruft ihn ans Telefon, und
er leistet dem Ruf eilig und ungeduldig Folge. Nach einer Weile kehrt er
deutlich verärgert oder besser schon verstört zurück. Was ist geschehen? Er
setzt sich nicht wieder hin, sondern bezahlt seine Rechnung und geht. Ich
beobachte ihn durch die Scheibe, die die Halle von der Bar trennt, und sehe,
wie er sich zur Bar wendet. Vielleicht um noch mehr zu

Weitere Kostenlose Bücher