Miramar
trinken? Ich behalte ihn
weiter im Auge: Schließlich verläßt er seinen Platz und dreht sich zur Tür. Ich
stehe ruhig und gelassen auf.
Als ich hinauskomme, hat er schon die
Straße überquert. Ich knöpfe meinen Mantel zu, denn es weht ein leichter, aber
schneidend kalter Wind. Die Straße ist menschenleer. Um die Laternen hängen
Nebelschwaden. Nur das Rascheln der Blätter zu beiden Seiten der Straße durchbricht
das Schweigen.
Ich gehe vorsichtig weiter, halte mich
an die Häuserwände. Aber er scheint ganz in seine Gedanken versunken, achtet
nicht auf seine Umgebung, ist so sehr in seiner Welt befangen, daß er seinen
Mantel, den er immer noch über dem Arm trägt, ganz vergessen zu haben scheint.
Was ist geschehen? Er hatte sich doch während der ganzen Zeit mit Tolba
unterhalten, hatte viel gelacht! Was hat ihn jetzt so verwandelt? Ich
konzentriere mich auf einen einzigen Gedanken, als sei der allein meine
Rettung. Plötzlich wendet er sich dem Feldweg zu, der zum Palma führt. Es ist
ein dunkler, einsamer Weg, zu dieser Stunde völlig verlassen. Was sucht er
dort? Welches Schicksal waltet hier, das ihn mir so ganz ausliefert? Ich gehe
jetzt etwas schneller, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, und taste mich
an den Zäunen entlang.
Wir versinken alle beide in der
Dunkelheit. Ich beobachte seine schemenhafte Gestalt und halte mich
sprungbereit. Aber plötzlich bleibt er stehen. So halte auch ich inne und zittere
vor Aufregung. Irgend etwas muß geschehen!
Vielleicht kommt jetzt jemand, den ich
nicht kenne? Ich muß warten. Da, plötzlich höre ich ihn. Ist das ein Wort? Ein
Räuspern? Ein Erbrechen? Langsam geht er ein kleines Stück weiter und fällt
dann zu Boden. Offensichtlich ist er stockbetrunken. Er hat mehr Alkohol zu
sich genommen, als er verträgt, und nun das Bewußtsein verloren. Ich warte,
gespannt lauschend, aber es geschieht nichts. Vorsichtig gehe ich auf ihn zu
und stolpere schließlich fast über ihn. Ich neige mich über ihn, will ihn
ansprechen, aber mir versagt die Stimme. Ich betaste seinen Körper, sein
Gesicht. Er regt sich nicht. Er ist so betrunken, daß er nichts mehr merkt, und
wird ohne Schmerz oder Furcht aus dieser Welt scheiden, ganz so, wie es sich
der alte Amir Wagdi für sich wünscht. Ich schüttle ihn sanft, er gibt jedoch
keinen Laut von sich.
Nun fasse ich ihn derber an, er kommt
aber immer noch nicht wieder zu sich. Schließlich bewege ich ihn ziemlich
heftig hin und her, doch es gibt keinerlei Hoffnung, daß er aus seiner
Bewußtlosigkeit erwachen könnte.
Bestürzt richte ich mich auf. Ich taste
nach der Schere in meiner Tasche, finde sie jedoch nicht. Vergeblich suche ich
sie an all den Stellen, wo sie sein könnte. Offenbar bin ich so zerstreut
gewesen, daß ich vergessen habe, sie einzustecken. Ich war verwirrt gewesen,
innerlich zerrissen, verzweifelt.
Dann war Madame gekommen, um meine
Meinung darüber zu hören, wo wir die Silvesternacht verbringen könnten. Ja, ich
bin tatsächlich aus dem Zimmer gegangen, ohne an das zu denken, weswegen allein
ich wieder in es zurückgekehrt war. Mein Zorn auf mich selbst wird nur noch
größer, wie meine Wut über denjenigen wächst, der da volltrunken und in einem
glücklichen Trancezustand, den er gar nicht verdient, vor mir liegt. Ich trete
ihn in die Seite, trete noch einmal, diesmal heftiger, trete ihn ein drittes
Mal, nun mit voller Kraft. Ich verliere jede Selbstbeherrschung, trample auf
ihm herum, lasse meinen Zorn, meine Besessenheit an ihm aus. Schließlich lehne
ich mich erschöpft an den Zaun, keuchend vor Anstrengung, und sage mir, daß ich
ihn umgebracht haben muß. Mühsam ringe ich nach Luft und verspüre Ekel. Mich
überkommt das dunkle Gefühl, daß ich wahnsinnig geworden bin und hier in der Dunkelheit
der Nacht irre, brutale Bewegungen vollführt habe. Ich muß an Durrejja denken,
erinnere mich daran, wie sie mir in die Augen sah und dann in der Menschenmenge
verschwand.
Zu Fuß gehe ich in die Pension zurück.
Ich stelle mir Zuchra vor, wie sie jetzt wohl den tiefen, würgenden Schlaf der
Erschöpfung schläft.
Ich nehme eine Schlaftablette und werfe
mich aufs Bett.
Mein Bruder stößt mich
mit Gewalt vor sich her, packt mich so an den Schultern, daß ich vor Wut
schreie: »Du zerstörst mich für immer!«
IV. Sarhan al-Buheri
Der High-Life-Laden. Eine
Fülle von Formen und Farben, die aufreizend wirkt, aufreizend für den Magen,
aufreizend auch für die Gefühle. Eine un-geheure Woge
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