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Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sollen.
    Doch berechtigte diese kleinmütige Haltung der parlamentarischen Opposition auch ihn, Bronstein, dazu, auch die Verfassung zu vergessen? Er wusste selbst nicht, weshalb ihm mit einem Mal nach vielen Jahren wieder Jelka einfiel. Die hatte ihm immer wieder gesagt, das eigene Gewissen stehe über allem Recht, und wenn das Recht zweifelhaft sei, dann wäre es die Verpflichtung des einzelnen, es zu ignorieren. Lex dubia non obligat, hatte sie dabei einmal einen Jesuitengeneral zitiert, was ihn, Bronstein, naturgemäß über alle Maßen amüsiert hatte, dass nämlich eine Kommunistin Anleihen bei einem Katholiken nahm. Doch sie hatte damals nur lächelnd gemeint, dass Jesus, würde er heute auf Erden wandeln, das Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei in seiner Tasche trüge.
    Quälend langsam vergingen die Stunden bis zum Mittag. Weder Cerny noch Bronstein war nach Reden und so gingen sie beide stumm einer Beschäftigung nach. Cerny arbeitete alte Akten auf, Bronstein rauchte eine Zigarette nach der anderen und starrte dabei zum Fenster hinaus.
    Wie hatte es überhaupt so weit kommen können? Gerade einmal eineinhalb Jahrzehnte war es her, dass alle politischen Kräfte voller Enthusiasmus die Republik begrüßt hatten. Mehr noch als Staatsoberhaupt und Regierung war das Parlament die Zierde des neuen Staates. Und jetzt sollte das alles nicht mehr zählen? Hatten denn alle vergessen, wie schwer Rote und auch Schwarze seinerzeit um das Recht gerungen hatten, im Hohen Hause mitwirken zu dürfen, damit dieses eine wahre Volksvertretung werde? Nicht nur die Begründer der Sozialdemokratie, auch ihre heutigen Gegner, die Christlich-Sozialen, waren einst Verfemte gewesen. Sollte diese Erfahrung die beiden Lager nicht weit eher einen als trennen? Und sah man nicht gerade in diesen Tagen in Deutschland, wohin solcher Parteienhader führte? Ob er sich nicht doch besser krank melden sollte?
    »Auf geht’s!« Zu Bronsteins großer Überraschung hatte sich Steinhäusl höchstselbst in der Kantine eingefunden, um alle ihm zugeteilten Beamten persönlich einzusammeln. Bronstein rang noch einen kleinen Moment mit sich, ob er sich der Einberufung widersetzen sollte, doch als er sah, wie Dutzende andere Kriminalbeamte wortlos aufstanden und dem Leiter des Sicherheitsbüros willig folgten, da war es auch um seinen Mut geschehen. Umständlich tupfte er seinen Mund mit der Serviette ab, dann nickte er Cerny mit trauriger Miene zu, ehe er sich dem Zug der Steinhäusl-Kompanie anschloss.
    Als sie die Treppen zum Ring hinuntermarschierten, überschlug er die Zahl der hier eingesetzten Kollegen und kam auf knapp hundert Mann, die sich nach rechts wandten, um über die Währinger Straße zur Universität zu gelangen. Gleich danach passierte der Trupp den Rathauspark, und schon kam das Parlament ins Blickfeld. Tatsächlich wehten vor den Toren die Fahnen, die das Abhalten einer Sitzung signalisierten, und Bronstein fragte sich, ob sich wirklich Deputierte in den Hallen finden würden. Über die Rampe zog der Zug der Kriminalisten in die Säulenhalle ein und wandte sich dort nach links, um zum Sitzungssaal des Nationalrates zu gelangen. Instinktiv griff Bronstein nach seiner Taschenuhr. Zwei Minuten nach zwei Uhr nachmittags.
    Gedämpfter Lärm drang durch den schmalen Gang, und unwillkürlich sah Bronstein auf. Tatsächlich, eine namhafte Gruppe von Mandataren schickte sich eben an, den Plenarraum zu betreten. Steinhäusl hatte in der Zwischenzeit die Hälfte seiner Leute diverse Ausgänge besetzen lassen und befahl einem weiteren Dutzend, in der Säulenhalle Aufstellung zu nehmen. Mit gut 30 Kollegen sah sich Bronstein nun vor der großen Türe zum Präsidium stehen, die weit offen stand. Er schob sich an einigen Beamten vorbei und warf einen Blick in das Plenarrund. Die Reihen der Roten waren fast vollzählig gefüllt, und auch auf der rechten Seite blieb kaum ein Stuhl leer. Steinhäusl gab hektisch diverse Befehle, während sich Bronstein an den Türrahmen lehnte. Direkt unter seinen Augen huschte ein Mann vorbei, in dem er den Abgeordneten Forstner erkannte. Freundlich nickend zwinkerte er ihm zu, wobei er ansatzweise mit den Schultern zuckte. Forster, der seinerseits Bronstein erkannte, erwiderte die Geste und sah zu, dass er zu seinem Sitzplatz kam. Plötzlich öffnete sich die Pforte zum ehemaligen Speisesaal, und Bronstein wurde der Abgeordneten Gabriele Proft ansichtig. Mit einer galanten Bewegung seiner rechten Hand ließ er

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