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Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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auch sie durch. Just in diesem Augenblick, die Proft nahm gerade die letzte Stufe hinab zur Rostra, fiel Steinhäusl auf, was hinter seinem Rücken vorgegangen war.
    »Sind Sie komplett verblödet, Mann? Wir sollen die Sitzung verhindern, nicht ermöglichen!« Bronstein bemühte sich um einen dämlichen Gesichtsausdruck und zuckte abermals mit den Schultern. Steinhäusl setzte zu einem Schreianfall an, doch Bronstein nickte über dessen Kopf hinweg in Richtung des Ganges. Dort kamen der Wiener Bürgermeister und einer seiner Stadträte herbeigeeilt.
    »Halt! Hier gibt es kein Durchkommen!«, belferte Steinhäusl und verhinderte, dass Seitz mit seinem Kompagnon in den Saal gelangte.
    »Junger Mann, ich war schon unter dem Kurienwahlrecht Abgeordneter. Da werd’ ich mir jetzt nicht den Zutritt zum Plenum verbieten lassen«, entgegnete Seitz mit nasalem Schönbrunner Deutsch und schickte sich an, Steinhäusl zu passieren. Steinhäusl, der fünf Tage zuvor feuchtfröhlich seinen 54. Geburtstag gefeiert hatte, blieb die Luft weg. »Was … erlauben Sie … sich?« Er trat eilig drei Schritte zurück, um sich Seitz erneut in den Weg stellen zu können. »Das hier ist eine … untersagte Kundgebung. Sie … dürfen nicht …!«
    »Wer sagt das?«
    Automatisch zückte Steinhäusl die schriftliche Weisung, die Brandl von Dollfuß erhalten und an Steinhäusl weitergereicht hatte. Wie selbstverständlich nahm sie Seitz an sich, betrachtete sie kurz und meinte dann: »Sehr schön. Das geb ich dem Präsidenten! Das wird Folgen haben, mein Lieber. Darauf können S’ Gift nehmen!« Sprach’s und ließ den entgeisterten Steinhäusl stehen. Der brauchte einige Atemzüge, bis er sich wieder gefangen hatte. »Rote … Judensau!«, brüllte er.
    »Entschuldigung, Herr Hofrat«, mischte sich Bronstein ein, »der Seitz, der ist kein Jude!«
    »Wer a Jud’ ist, bestimm’ i.«
    »Lueger.«
    »Wos?« Abermals war Steinhäusl verwirrt.
    »Das hat der Lueger g’sagt. Das mit dem Juden.«
    Erneut schnappte Steinhäusl nach Luft. Für einige Sekunden wirkte er wie ein Fisch auf dem Trockenen, so hektisch öffnete und schloss sich sein Mund. »Aus meinen Augen … Sie … Missgeburt!«, schrie er so laut, dass die anderen Beamten zusammenzuckten. Bronstein zuckte zum dritten Mal mit den Schultern und begab sich beinahe schlendernd zum Seiteneingang des Plenarsaals. Von seinen Kollegen unbehindert, trat er durch die Pforte und befand sich mit einem Mal unmittelbar hinter den großdeutschen Mandataren. Präsident Straffner begründete, weshalb er sich im Recht wähnte und kündigte sodann, die Weisung des Kanzlers effektvoll durch den Raum schwenkend, an, wegen Versuchs einer gewaltsamen Verhinderung der Sitzung des Nationalrates Anzeige gemäß Paragraph 76 StGB erstatten zu wollen. Unmittelbar danach erklärte er die Sitzung für geschlossen, und beide Ränder des Halbkreises erhoben sich, um mehrmals »Hoch die Verfassung!« zu rufen. Bronstein kam gar nicht mehr dazu, in den Gesichtern der Anwesenden zu lesen, denn in atemberaubender Geschwindigkeit leerte sich die Örtlichkeit, und ehe er es sich versah, war er allein in dem geschichtsträchtigen Gemäuer. Er ließ seinen Blick über die Statuen griechischer Philosophen schweifen, dann zuckte er zum vierten Male mit den Schultern und trat schließlich auch auf den Gang.
    Als er zwei Stunden später wieder in seinem Büro eintraf, war von Cerny keine Spur zu finden. Bronstein meinte denn auch, für einen Tag genug getan zu haben, und verließ das Amt umgehend. Der Heimweg erwies sich als erstaunlich lang, denn vom ›Kupferdachl‹ über das ›Central‹ und das ›Herrenhof‹ bis zur ›Bierklinik‹ machte er in jedem Lokal Station, das sich zwischen seiner Arbeits- und seiner Schlafstelle befand. Am nächsten Morgen konnte er sich auch beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie er in sein Bett gefunden hatte.
    Mit hämmernden Kopfschmerzen sank er auf seinen Bürostuhl.
    »Und?«, fragte er Cerny unter Aufbieten aller Kräfte, »wie war’s bei euch?«
    »Du glaubst es nicht. Der Brandl hat das wirklich durchgezogen. Wir überbrachten der Heimwehr die Aufforderung, sofort das Gebäude zu räumen, und die haben sich tatsächlich zurückgezogen.«
    »Einfach so?«
    »Einfach so!«
    Bronstein nickte.
    »Aber hast schon g’hört, was heute passiert ist?«
    »Nein, was denn?«
    »Der Brandl ist glatt pensioniert worden. Buchstäblich von heut’ auf morgen. Der Dollfuß hat so

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