Miss Emergency
haben Sie sonst gar nichts zu bieten, mittelmäÃiges Examen, langweiliges Gesicht â¦Â« Mann, wenn ich doch wenigstens mit Isa oder Jenny sprechen könnte â ich brauche nur eine winzige Rückversicherung, dass ich spinne und vollkommen übertreibe. Aber die beiden lassen sich nicht blicken. DIE sind wahrscheinlich schon mit vollem Ehrgeiz und gänzlich unabgelenkt in die Arbeit eingestiegen und der Approbation durch bloÃe Geistesanwesenheit einen Riesenschritt näher gekommen. Und ich lasse mich von so einer blöden Bemerkung fertigmachen ⦠Ging ich vor zwei Stunden noch hoch erhobenen Hauptes über die Flure meines neuen Reviers, so ist daraus jetzt ein Schleichen geworden; vom Grübeln niedergedrückt, versuche ich mich unsichtbar zu machen. Nicht die beste Voraussetzung für einen ersten Kliniktag. Mein Kopf sollte randvoll angefüllt sein mit den neuen Namen, den zu verinnerlichenden Arbeitsabläufen, den ersten Patientendaten. Stattdessen wiederholt eine warme Männerstimme in meinem Kopf immer wieder diese anzügliche Bemerkung. War es eine subtile Anspielung darauf, dass mein Kittel doch zu kurz ist? Niemand macht sich eine Vorstellung, wie schwierig die Entscheidung der KittelgröÃe tatsächlich ist. Zu lang und man wirkt wie eine LitfaÃsäule, denn die platten Gummischuhe verwandeln jede noch so schlanke Wade in unattraktive Elefantenstampfer. Zu kurz und man erweckt den Eindruck, man hätte lieber Krankenschwesterwerden wollen â in einer pornoverdorbenen Unterhemdträger-Fantasie.
Schluss jetzt, Lena! Ab sofort konzentrierst du dich ausschlieÃlich und vorbildlich auf die neue Arbeit! Wie hieà jetzt der Patient, dem du eine Infusion legen sollst? Ritter, Manuel Ritter, na es geht doch. Und Infusionen kannst du geben, seit du deine Barbies mit der Stecknadel geimpft hast. Hat irgendjemand eine Vorstellung davon, wie schwer eine Injektion in so einen flieÃbandproduzierten Plastikarm ist?! Danach schreckt eine angehende Ãrztin kein menschlicher Arm mehr und seien die Venen auch noch so winzig und unter noch so viel Lederhaut versteckt.
Also eine Infusion. Ermutigend lächle ich Herrn Ritter an. Wäre in meinem Gehirn heute noch Platz für Männer, würde ich vielleicht etwas weniger gute-Ãrztin-lächeln und stattdessen schöne-Frau-strahlen. Herr Ritter sieht nämlich gar nicht schlecht aus und ist â im Gegensatz zu dem undurchschaubaren Oberarzt, der meinen Tag verdorben hat â sogar in meinem Alter. Fahrradunfall, Gehirnerschütterung. Also ein sportlicher Typ und Draufgänger â denn offenbar ist er ohne Helm gefahren. Stopp, Lena, du wolltest doch nicht mehr über Männer nachdenken! AuÃerdem kann das Fahren ohne Helm auch auf Eitelkeit schlieÃen lassen, vielleicht wollte er nur seine braunen Locken nicht platt drücken. Dann wäre die Gehirnerschütterung eine gerechte Strafe. So. Staubinde anlegen, desinfizieren, Kanüle auspacken, noch einmal beruhigend lächeln, Haut straffziehen, Vene punktieren. Fertig. Wer sagtâs denn, Barbie sei Dank! Ãberhaupt ist das eine typische Anfänger-Beschäftigungstherapie, die eigentlich auch von den Schwestern erledigt werden könnte. Sogar sollte â die meisten Ãrzte stechen nämlich schlechter.
»Das hat aber wehgetan!« Moment, hat DAS Herr Ritter gesagt? Zu MIR?! Ich funkle ihn an. Das Gute-Ãrztin-Lächeln weicht einem Ich-kann-dir-auch-eine-Magenspiegelung-verordnen-Blick. Er lächelt und entschuldigt sich. Na also. Weichei. Herr Ritter ist durchgefallen, braune Locken hin oder her.
Ich klappe meine Mappe zu und will das Zimmer verlassen, da sagt der unverschämte Jüngling zu meiner Kittelrückseite: »Das haben Sie wohl zum ersten Mal gemacht, was?«
Mein lieber Mann, ich habe nicht nur Barbies gestochen â ich habe Injektionen in Schweinehaut und Leichenhaut, in optimistische Freiwillige und hilfsbereite Kommilitonen gedrückt! Ich fahre herum und setze zu einer gepfefferten Entgegnung an. Moment ⦠Schlagfertige Antworten, wo seid ihr nur immer, wenn ich euch brauche?! Sprachlos starre ich den frech lächelnden Patienten an. »Wohl ohne Helm gefahren, was? Na, wenn wir da nicht den Schädel noch mal aufmachen müssen â¦Â«, sage ich schlieÃlich erbarmungslos â und setze hinzu: »Das mache ich dann übrigens
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