Miss Marples letzte Fälle
ganz sonderbar bei Ihrem Gerede; es läuft mir schon richtig kalt den Rücken hinunter. Bitte, steigern Sie sich nur nicht in irgendwe l chen übersinnlichen Quatsch hinein, wegen dieser Pu p pe.« Sie ergriff die Puppe, schüttelte sie aus, richtete ihre Schultern gerade und setzte sie in einen anderen Sessel. Sofort sackte die Puppe leicht zusammen und streckte die Glieder.
»Sie ist nicht ein bisschen naturgetreu«, sagte Alicia Coombe und starrte dabei wie gebannt auf die Puppe. »Und trotzdem wirkt sie auf eine komische Weise lebe n dig, nicht wahr?«
»Oh, hab ich mich erschrocken«, rief Mrs Groves, wä h rend sie Staub wischend durch den Vorführraum ging. »Derartig, dass ich eigentlich gar nicht mehr gern in den Anproberaum gehe.«
»Wobei haben Sie sich so erschrocken?«, fragte Miss Coombe, die an einem Schreibtisch in der Ecke saß und verschiedene Kundenkonten bearbeitete, zerstreut. »Di e se Person«, fuhr sie mehr zu sich als zu Mrs Groves g e wandt, fort, »bildet sich ein, sie kann jedes Jahr zwei A bendkleider, drei Cocktailkleider und ein Kostüm beste l len, ohne mir je einen Penny dafür zu bezahlen! Also wirklich, Leute gibt ’ s!«
»Bei der Puppe«, antwortete Mrs Groves.
»Was, schon wieder unsere Puppe?«
»Jawohl. Wie die da am Schreibtisch sitzt, genau wie ein echter Mensch. Huch, hab ich mich erschrocken!«
»Wovon reden Sie da eigentlich?«
Alicia Coombe sprang auf, ging mit langen Schritten durchs Zimmer, über den kleinen Vorplatz im Treppe n haus und in den gegenüberliegenden Raum – den Anpr o beraum. In einer Ecke davon stand ein zierlicher Sher a tonschreibtisch, und dort, auf einem herbeigerückten Stuhl, die langen, schlaffen Arme auf der Schreibplatte, saß die Puppe.
»Da scheint sich irgendjemand einen Spaß geleistet zu haben«, bemerkte Alicia Coombe. »Was für eine Schnap s idee, diese Puppe so dorthin zu setzen. Sie sieht tatsäc h lich ganz wie lebendig aus.«
In dem Augenblick kam Sybil Fox mit einem Kleid, das an diesem Vormittag anprobiert werden sollte, die Treppe herunter.
»Kommen Sie her, Sybil. Sehen Sie sich das an, jetzt sitzt unsere Puppe schon an meinem Privatschreibtisch und schreibt Briefe.«
Die beiden Frauen standen da und schauten.
»Wirklich«, sagte Alicia Coombe schließlich, »das ist doch zu albern! Ich möchte wissen, wer sie dort hing e setzt hat. Waren Sie das?«
»Nein«, entgegnete Sybil. »Es muss eins von den Mä d chen oben gewesen sein.«
»Ein recht törichter Scherz eigentlich.« Alicia Coombe nahm die Puppe vom Schreibtisch und warf sie wieder aufs Sofa.
Sybil legte das Kleid vorsichtig über einen Stuhl, dann ging sie hinaus und die Treppe zum Atelier hinauf.
»Ihr kennt doch diese Puppe«, begann sie, »die Sam t puppe in Miss Coombes Zimmer unten – im Anprob e raum?«
Die Direktrice und drei der Mädchen blickten auf.
»Ja, Miss, natürlich kennen wir die.«
»Wer von euch hat sie heute Morgen zum Spaß an den Schreibtisch gesetzt?«
Die drei Mädchen starrten sie an, dann sagte Elsbeth, die Direktrice: »Sie an den Schreibtisch gesetzt? Na, ich bestimmt nicht.«
»Ich auch nicht«, erklärte eines von den Mädchen.
»Und du, Marlene?« Marlene schüttelte den Kopf.
»Vielleicht doch ein kleiner Scherz von Ihnen, El s beth?«
»Nein, wirklich!«, entgegnete Elsbeth, eine strenge Frau, die aussah, als müsste sie eigentlich ständig den Mund voller Stecknadeln haben. »Ich habe Besseres zu tun, als mit Puppen herumzuspielen und sie an Schreibtische zu setzen.«
»Nun hört doch mal«, sagte Sybil, und zu ihrer eigenen Überraschung zitterte ihre Stimme leicht, »es war ja – es war ja ein ganz gelungener Scherz, ich würde eben bloß gern wissen, wer es gewesen ist.«
Die drei Mädchen wurden ärgerlich.
»Wir haben Ihnen doch gesagt, Mrs Fox, keine von uns ist es gewesen, stimmt ’ s, Marlene?«
»Also, ich war ’ s nicht, und wenn Nellie und Margaret sagen, sie waren ’ s auch nicht, na, dann war ’ s keine von uns.«
»Meine Antwort darauf haben Sie bereits gehört«, e r klärte Elsbeth. »Um was geht es bei der ganzen Sache überhaupt, Mrs Fox?«
»Es kam mir bloß so merkwürdig vor«, sagte Sybil lan g sam.
»Vielleicht war es Mrs Groves?«, meinte Elsbeth.
Sybil schüttelte den Kopf. »Mrs Groves kann ’ s nicht gewesen sein. Sie hat selbst einen Heidenschreck b e kommen.«
»Ich komme mit hinunter und sehe es mir selber an«, sagte Elsbeth.
»Jetzt ist sie nicht mehr dort«,
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