Miss Marples letzte Fälle
nicht«, antwortete Sybil kurz.
»Nun«, erklärte Mrs Fellows-Brown, »mir verursacht sie eine Gänsehaut. Direkt gruselig! Ich finde, sie sieht aus, als würde sie uns alle beobachten und sich dabei ins Fäustchen lachen. Also, ich an Ihrer Stelle würde sie we g tun!« Sie schauderte leicht zusammen. Dann stürzte sie sich wieder in schneidertechnische Details. Sollte sie die Ärmel vielleicht zwei Zentimeter kürzer machen oder nicht? Und wie stand es mit der Länge? Nachdem alle diese wichtigen Punkte zur Zufriedenheit geregelt waren, schlüpfte Mrs Fellows-Brown wieder in ihre eigenen Kleider und machte sich zum Gehen bereit. Als sie an der Puppe vorbeikam, wandte sie noch einmal den Kopf.
»Nein«, erklärte sie mit Nachdruck. »Ich kann diese Puppe nicht leiden. Sie sieht mir zu sehr danach aus, als gehörte sie hierher. Es ist irgendwie ungesund.«
»Was sollte das jetzt heißen?«, fragte Sybil, während Mrs Fellows-Brown über die Treppe nach unten verschwand.
Ehe Alicia Coombe antworten konnte, tauchte Mrs Fe l lows-Brown wieder auf und streckte den Kopf zur Tür herein.
»Du meine Güte, ich habe wahrhaftig Fou-Ling verge s sen. Wo bist du, Schnuckelchen? Na, so etwas!«
Sie starrte auf den Pekinesen, und die beiden anderen Frauen taten es ihr nach. Fou-Ling saß neben dem gr ü nen Samtsessel und glotzte unverwandt auf die schlaffe Gestalt der Puppe, die darauf ruhte. Sein kleines Gesicht mit den hervorquellenden Augen war ausdruckslos, es zeigte weder Vergnügen noch Abneigung. Er glotzte ganz einfach.
»Na, komm schon, bist doch Mamas Liebling«, flötete Mrs Fellows-Brown.
Mamas Liebling nahm nicht die geringste Notiz von ihr.
»Er wird jeden Tag unfolgsamer«, bemerkte Mrs Fe l lows-Brown in einem Ton, als hebe sie eine Tugend he r vor. »Komm schon, Fou-Ling. Fressi-Fressi. Feines L e berchen.«
Fou-Ling drehte den Kopf um ein paar Zentimeter zu seiner Herrin herum und wandte sich dann verachtung s voll wieder der Puppe zu.
»Sie hat wahrhaftig großen Eindruck auf ihn gemacht«, stellte Mrs Fellows-Brown fest. »Ich glaube nicht, dass sie ihm schon früher aufgefallen ist. Mir übrigens auch nicht. War sie schon da, als ich das letzte Mal kam?«
Die beiden anderen Frauen wechselten einen Blick. Diesmal nahm Sybils Gesicht einen fragenden Ausdruck an, und Alicia Coombe erwiderte stirnrunzelnd: »Ich habe Ihnen ja schon gesagt – ich kann mir in letzter Zeit nichts mehr merken. Wie lange haben wir sie denn nun eigen t lich, Sybil?«
»Wo kommt sie her?«, fragte Mrs Fellows-Brown. »H a ben Sie sie gekauft?«
»O nein.« Irgendwie war Alicia Coombe bei dieser Idee schockiert. »O nein. Vermutlich hat sie mir jemand g e schenkt.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zum Verrück t werden!«, stieß sie hervor. »Absolut zum Verrücktwerden, wenn einem sofort alles wieder entfällt.«
»Nun sei nicht albern, Fou-Ling«, rief Mrs Fellows-Brown streng. »Komm sofort hierher. Na, dann werde ich dich eben tragen.«
Sie hob ihn hoch. Fou-Ling stieß ein jämmerlich prote s tierendes Kläffen aus. Während sie ihn aus dem Zimmer trug, drehte er sein glotzäugiges Gesichtchen über das flaumige Schulterfell hinweg nach hinten und starrte we i terhin mit ungeheurer Konzentration auf die Puppe im Sessel.
»Also, bei der Puppe da«, sagte Mrs Groves, »da läuft ’ s einem richtig kalt den Rücken runter, jawohl.«
Mrs Groves war die Putzfrau. Sie war soeben damit fe r tiggeworden, rückwärts rutschend wie ein Krebs den Fußboden zu wischen. Nun stand sie aufrecht und b e wegte sich gemächlich mit einem Staubtuch durchs Zi m mer.
»Komisches Ding«, fuhr sie fort. »Ist mir eigentlich erst gestern aufgefallen. Und dann direkt schlagartig sozus a gen.«
»Sie gefällt Ihnen nicht?«, fragte Sybil.
»Ich sag Ihnen doch, Mrs Fox, wenn ich sie anschaue, läuft ’ s mir kalt den Rücken runter. Irgendwas ist mit der nicht richtig, verstehen Sie. Diese langen Schlackerbeine, und wie sie da hockt, und dieser tückische Blick, den sie in den Augen hat. Ich sage Ihnen, mit der stimmt was nicht.«
»Sie haben bisher nie etwas über sie gesagt«, wandte S y bil ein.
»Ich sag Ihnen doch, sie ist mir nie aufgefallen – bis heute morgen… Na sicher, ich weiß, dass sie schon ‘ ne ganze Weile hier ist, aber – « Sie hielt inne, und ein nac h denklicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Die könnte einem nachts im Traum erscheinen.« Damit suc h te sie ihre Putzutensilien zusammen,
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