Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
ist das so eine Sache! Ich weiß doch gar nicht, wo ich in Zukunft leben werde. Vielleicht finde ich einen Job in Hamburg. Oder in München. Da wäre es ja blöd, hier jetzt eine Wohnung zu mieten.«
»Oh Mann! Kannst du dir nicht wenigstens’ne Frau klarmachen und ein bisschen rumvögeln? Vielleicht kriegst du dann mal wieder den Kopf frei.«
Na bitte: endlich ein guter Vorschlag.
Ob er wirklich geholfen hat? Eine Woche später hatte ich jedenfalls einen Geistesblitz, wie die Problemfelder Job und Wohnung auf einen Schlag zu lösen wären - und das auf eine Weise, die mich garantiert auch von meinen Liebesproblemen ablenken würde.
Ich sah auf die Uhr und addierte sechs Stunden. Das dürfte gerade noch passen. Ich griff das Telefon und wählte eine Nummer. Erst erklang im Hörer ein verrauschtes Tuten, dann die Stimme eines Mannes:
»Hallo?«
»Ja, äh, Hallo. Hier ist Nick. Nick Roth.«
»Na sieh mal einer an! Das ist ja ehrlich gesagt überraschend.«
»Du bist sicher noch sauer auf mich …«
»Sauer? Es war alles schon vorbereitet! Ich habe allen anderen abgesagt! Und dann gibst du mir eine Woche vorher Bescheid, dass du es dir anders überlegt hast!«
»Ich weiß. Es tut mir auch leid. Hast du denn inzwischen jemanden gefunden?«
»Klar! Was denkst du denn? Das ist immerhin schon fast ein Jahr her. Aber was willst du jetzt schon wieder?«
»Nun« - ich musste kurz gegen einen Frosch im Hals ankämpfen -, »ich wollte eigentlich fragen, ob dein Angebot noch steht?«
Ein ungläubiges Schweigen schraubte sich durch den Hörer. Dann plötzlich:
»Wenn du in einer Woche hier bist, kannst du bei mir anfangen.«
»Eine Woche?« Ich dachte kurz nach. Es gab nicht mehr viel zu arrangieren. Kein Job, keine Freundin, meine Möbel waren eingelagert. Ich musste nur noch mein Telefon kündigen. Trotzdem schien es mir zu wenig.
»Gib mir zwei.«
»Zehn Tage. In zehn Tagen ist Montag - dein erster Arbeitstag. Wenn du dann nicht hier bist, brauchst du gar nicht mehr aufzutauchen.«
»O.K.« Ich schluckte. »Dann bis in zehn Tagen.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, rief ich mein Reisebüro an und buchte ein One-way-Ticket nach Vietnam.
Es ist beängstigend, wie wenig vom Leben übrig bleibt.
Ein Anruf beim Handy-Provider, ein Formblatt ausfüllen
und ans Arbeitsamt schicken - mehr brauchte es nicht, um mich vollständig aus dem Dasein auszuklinken, das ich 34 Jahre lang geführt hatte.
Ich kann nicht sagen, dass ich darüber traurig war, aber ein bedrückender Gedanke beschlich mich: Fast mein halbes Leben war vorbei, und es gab nichts, das Bestand hatte. Nichts, das sich nicht in Minutenfrist mit einem schnöden Vordruck aus der Welt schaffen ließ. Ging das nur mir so? Oder steht jedes Dasein auf so wackeligen Beinen? Obwohl ich wusste, dass auch ein Bausparvertrag meine aktuelle Situation nicht entscheidend verbessert hätte, schien mir ein spießiges, geplantes, vorhersehbares Leben zum ersten Mal verführerisch. Ein Leben, das meinen persönlichen Aussichten allerdings diametral entgegengesetzt war.
Dank der knappen Zeitvorgabe blieb mir glücklicherweise nicht viel Zeit zum Grübeln. Und so dauerte es nicht lange, bis ich mich an einem anderen Gefühl besoff: Ich war frei, ungebunden, nur mir selbst verpflichtet. Wenn Alois nicht zu Hause war, drehte ich die Anlage bis zum Anschlag auf, tänzelte halbnackt durch die Wohnung und sang im Duett mit Janis Joplin: »Freedom is just another word for nothing left to lose.« Meine Zukunft! Mein Ideal! Meine Bestimmung! Zumindest redete ich mir das erfolgreich ein. So strich ich an meinen letzten Tagen völlig euphorisiert durch Berlin, dessen Alltag und Menschen mir seltsam entrückt vorkamen.
Meine Gedanken umkreisten das, was vor mir lag. Vietnam hatte mich seit jeher fasziniert. Als die Regierung Mitte der 90er Jahre sämtliche Reisebeschränkungen aufhob, gehörte ich zur ersten Vorhut an Rucksackreisenden, die in das Land kam. Seitdem bin ich immer wieder dorthin gefahren, hatte sogar die Sprache erlernt und ein paar Kontakte geknüpft.
Zu diesen gehörte Jürgen, ein bulliger Deutscher. Er war einer der wenigen Ausländer, die nicht von einer internationalen Firma nach Vietnam entsandt wurden. Schon zu jener Zeit hatte er sein eigenes Unternehmen, eine Werbeagentur, in Saigon gegründet und war damit erstaunlich erfolgreich. Vor einem knappen Jahr hatte er mir sogar eine Stelle als Art Director in seiner Firma angeboten, die ich auch angenommen
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