Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
abschätzenddistanziertes Geplänkel entspann sich zwischen uns, das wir beide mit zunehmender Dauer genüsslich zelebrierten - denn unter der Oberfläche unserer lockeren Sprüche kristallisierte sich mehr und mehr die Erkenntnis heraus, dass sich hier zwei gefunden hatten. Ein großartiger Moment. Eine stille, unausgesprochene Übereinkunft, die für jeden Außenstehenden
noch unsichtbar war, die in uns aber schon Gewissheit gefunden hatte. Es brauchte schließlich nur noch einen auffordernden Blick, ein zustimmendes Nicken - schon hatten wir das Partypack hinter uns gelassen und verschwanden in der lauwarmen Nacht.
Als wir auf einer Parkbank am Spreeufer Platz nahmen, gab es immer noch keine Berührung zwischen uns. Nur Worte. Spannung. Ein inneres Beben. Und eine Flasche Wein aus dem Lokal auf der anderen Straßenseite. Stundenlang saßen wir da, lachten und tranken, quatschten und flirteten. Noch eine Flasche Wein. Ihre Hand griff meine. Die letzten Gäste, der erste Kuss. Der Kellner fegte die Terrasse und schloss die Stühle mit einer Kette zusammen. Schließlich sperrte er seinen Laden ab, kam zu uns herüber, stellte mit der Bemerkung »Das geht aufs Haus« zwei weitere Gläser hin und machte sich auf den Heimweg.
Es dauerte noch zwei Stunden, bis wir es ihm nachtaten. Die frühe Sonne hatte die Morgendämmerung bereits vertrieben, als wir Hand in Hand durch die Straßen schlenderten und endlich vor Charlottes Haustür standen, wo sie sich mit einem langen Kuss von mir verabschiedete.
»Ach! Wie romantisch«, könnte man jetzt denken.
»Shit«, dachte ich. Ich hatte von der Dame etwas mehr Know-how in Sachen Wie-bringe-ich-einen-perfekten-Abend-zu-einem-perfekten-Ende erwartet.
Nun, den Zieleinlauf schafften wir am Ende doch noch - bei unserem nächsten Treffen. Und dann noch mal. Und noch mal. Und noch mal. So ging es einige Monate weiter, bis ich schließlich wie benebelt die seltsamsten Dinge tat: Sie meinen Eltern vorstellen. Mit ihr in Urlaub fahren. Ihr einen Wohnungsschlüssel geben.
War ich geheilt oder emotional resozialisiert? Manchmal wähnte ich mich auf gutem Wege. Tief in mir war eine kleine Flamme aufgeflackert, die nicht nur meine Lenden, sondern auch mein Herz erwärmte. Ein paar fast vergessene Gefühlsregungen schlichen wie nächtliche Eindringlinge durch das Dunkel meines Unterbewusstseins. Und ich war tatsächlich begierig, sie einzufangen und wieder einmal bei Licht zu betrachten - um mich endlich wieder richtig zu verlieben.
Aber ich habe sie nicht fassen können.
Es ist mein größtes Talent, den Klauen des Glücks zu entkommen. Charlotte war für mich ein Elfmeter in der Nachspielzeit. Mit Danny DeVito im Tor. Und ich habe mir schon beim Anlauf den Fuß gebrochen. So nahm das Elend an besagtem Augusttag ungeahnte Ausmaße an. Es hat mich innerlich zerrissen - auch wenn sich das Protokoll eher nüchtern liest:
9:00 Uhr - Aufstehen, Kaffee trinken. Versehentlich schmiere ich mir beim Frühstücken etwas Honig an den frisch gewaschenen Bademantel.
9:30 Uhr - Anruf vom Chef. Ich soll kurz in die Werbeagentur kommen, in der ich als Grafiker arbeite. Das kommt überraschend, denn ich habe mir heute freigenommen.
10:07 Uhr - Als ich im Büro ankomme, bemerke ich, dass die Sekretärin verheulte Augen hat. Ich muss kurz warten, der Chef führt noch ein Gespräch. Die Tür geht auf, und Herr Hülper kommt raus. Ich habe ihn nie leiden können. Er wirkt konsterniert und geht grußlos an mir vorbei.
10:12 Uhr - Der Chef ruft mich rein. »Gute Arbeit … sehr zufrieden … wirtschaftliche Situation … leider, leider … Abteilung dichtmachen … alles tun, um Sie zu unterstützen … Ja! Doch! Das heißt: ab sofort. Auf Wiedersehen.«
10:43 Uhr - Wieder zu Hause. Ich stehe in einem Meer von Pappkartons. Der Grund, warum ich heute freigenommen hatte: Ich muss umziehen. Freiwillig? Nein. Seit Jahren wohne ich zur Untermiete hier. Vor zwei Wochen rief mich der Hauptmieter an, der sich nach Australien abgesetzt hatte und die Wohnung nur »für den Notfall« noch behielt. Nun war dieser eingetreten.
11:00 Uhr - Mietwagen abholen. An der Tankstelle übersehe ich einen Mülleimer und schabe beim Rangieren mit der Außenwand des Transporters daran. Ein Kratzer verunstaltet den sonst blütenweißen Lack. Hoffentlich sieht das später niemand.
11:30 Uhr - Meine Umzugshelfer trudeln ein. Zwei, drei Freunde. Auch Charlotte packt mit an.
11:40 bis 17:21 Uhr - Kisten schleppen, Treppen
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