Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
geraden Satz zu sprechen, aber alle voll überbordend guter Laune. Gläser klirrten, Lachen schwirrte durch den Raum, und irgendwann schrie mir einer einen Satz ins Ohr, der mich erst wieder daran erinnerte, was wir hier eigentlich taten: »Nick, alte Socke! Unglaublich, dass ausgerechnet du morgen heiraten willst!«
Acht Monate zuvor war Lien mir auf der Terasse des Majestic um den Hals gefallen und hatte mir unter Küssen ein »Mit dir gehe ich überall hin« ins Ohr gehaucht, was ich richtigerweise als »Ja, ich will« interpretierte. So kam es, dass ich heute meinen Junggesellenabschied feierte, dessen ausgelassene Stimmung die Mühen vergessen ließ, die wir Frischverlobten noch zu durchstehen hatten. Erster heikler Programmpunkt:
Das Einverständnis von Liens Mutter erringen. Ein schwieriger Fall.
Wie Lien dieses Kunststück fertigbrachte, ist mir bis heute nicht klar. Wann immer ich sie auf den Fortschritt der Verhandlungen ansprach, wich sie aus. Vereinzelt konnte ich zwar ein paar Infobrösel aufklauben, doch die waren meist so niederschmetternd, dass ich mich am Ende kaum noch nach ihnen bückte. Nur zwei Dinge waren sicher: Dass hinter der Mauer des Schweigens an vielen Fronten heiß gefochten wurde und dass unsere westliche Leckt-mich-alle-am-Arsch-ich-mach-was-ich-will-Attitüde in Vietnam noch keine Popularität genießt.
Ab und zu musste auch ich aus strategischen Gründen auf dem Schlachtfeld erscheinen. Allerdings betrat ich sicheres Terrain, denn die Parteien hatten vorher einen Waffenstillstand vereinbart, um das Objekt ihrer Auseinandersetzung gemeinsam in Ruhe zu betrachten. Das Thema Hochzeit wurde bei diesen Zusammenkünften zunächst weiträumig umfahren. Stattdessen robotete ich durch meine Rolle als perfekter Schwiegersohn, lobte das Essen, parlierte respektvoll und achtete stets darauf, keinen der komplizierten Höflichkeitscodes zu verletzen.
Es muss das dritte oder vierte Treffen dieser Art gewesen sein, als meine Schwiegermutter in spe unvermittelt das heiße Eisen antastete:
»Lien wäre keine gute Ehefrau. Sie hilft nie im Haushalt!«
»Das ist mir nicht wichtig.«
»Sie kann nicht kochen!«
»Das ist mir auch nicht wichtig.«
»Sie ist mein einziges Kind!«
»Ich werde gut für sie sorgen. Und sie wird regelmäßig nach Saigon zurückkommen, um ihre Familie zu besuchen.«
Liens Mutter schwieg. Ich sah, wie sie sich für einen kurzen Augenblick einer tiefen Traurigkeit hingab, dann richtete sie wieder das Wort an mich:
»Schmeckt es dir, Kind?«
»Ja, sehr gut, Tante.«
Zwei Tage später klingelte es stürmisch an meiner Tür. Als ich öffnete, stand Lien vor mir. Oder nein, sie stand nicht. Sie hüpfte vor Aufregung, flog mir in die Arme, sprang fast auf mich drauf. Quiekte mir ohne Unterlass ein atemloses »Sie lässt mich gehen! Sie lässt mich gehen!« ins Ohr, bis wir schließlich unter hitzigen Küssen auf dem Boden meines Wohnzimmers herumrollten.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was für Diskussionen wir hatten. Meine Mutter ist wirklich eine sehr traditionelle Frau«, sagte Lien später. »Aber sie liebt mich und will, dass ich glücklich bin. Außerdem muss ich sagen, dass du bei deinen Besuchen eine ganz passable Figur abgegeben hast. Vor allem mein Cousin Tung fand dich sehr sympathisch.«
Anschließend schmiedeten wir gut gelaunt Pläne für unsere nahe Zukunft. Alles fühlte sich locker und leicht an, so als gäbe es von nun an keine Widerstände mehr.
Die Realität sollte uns jedoch eines Besseren belehren. Wir hatten ja nicht nur nette Abschiedspartys zu organisieren, sondern auch undankbare, nervenaufreibende Dinge abzuwickeln. Einen Job und eine Wohnung in Deutschland finden. Den Hausstand auflösen. Einen interkontinentalen Umzug organisieren. Ein Stahlbad in Sachen Behördenwahn durchstehen, bei dem wir wie ein Flummi zwischen vietnamesischen
Meldeämtern, Ausländerbehörde, Standesamt, deutschem Konsulat und staatlich beeidigten Übersetzern hin und her schießen mussten, bevor die Hochzeit angemeldet werden konnte und Lien ein Visum erhielt. (Auch wenn er sich hier in einen schmalen Satz quetschen lässt, nahm alleine dieser Programmpunkt mehrere nervige Monate in Anspruch).
Und natürlich: Die Hochzeitsfeier planen, kalkulieren, organisieren. Eine Beschäftigung, die als erste große Prüfung der Ehe angesehen werden kann. Die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen, wird auf eine harte Probe gestellt.
Aber worüber rege ich mich auf? Das
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