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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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er bedauernd zu dem Schluß gekommen, er hätte lieber noch im Dorf bleiben und Miss Seeton aufsuchen sollen, die ihm als Zugabe vielleicht noch eine Zeichnung von dem Mörder geliefert hätte. Von dieser Vorstellung kam er nicht mehr los. Sie war nach dem dritten und vierten Mord zur fixen Idee geworden: der Gedanke an die ganz entfernte Möglichkeit eines Anhaltspunktes, der vielleicht weiterführte. Und jetzt in Lewisham war er plötzlich ganz sicher gewesen. Als er dann wieder im Büro saß, hatte er sich bemüht, die Sache kühl und logisch zu betrachten, bevor er sie seinem Chef vortrug. Eigentlich war es ihm nur gelungen, sich selbst zu überzeugen, daß dies die logische Antwort sei. Aber nun – nein. Der A. C. hatte recht. Der Gedanke, Miss Seeton dahin zu schleppen, damit sie ein totes Kind zeichnete, das sie nie zuvor gesehen hatte… Sie hatte ihm allerdings letztes Jahr, als sie das Herumfuchteln mit dem Regenschirm eingestellt und die Arbeit mit dem Zeichenstift aufgenommen hatte, mehrere Hinweise auf Menschen und ihre Handlungsweise gegeben, ob es nun Menschenkenntnis, Intuition, Gedankenübertragung oder einfach übersinnlich gewesen war; aber die Zeichnungen von damals waren alles Bilder von Leuten gewesen, die sie vorher gesehen oder mit denen sie zu tun gehabt hatte. Was konnte man bei einem toten Jungen von ihr erwarten? Und überdies hatte er sich gar nicht genügend Gedanken gemacht, wie das Unternehmen auf sie selbst wirken würde. Womöglich endete sie im Krankenhaus… Und er hatte den Chef veranlaßt, diese Konferenz einzuberufen. Völliger Wahnsinn, den die schiere Verzweiflung geboren hatte. Der A. C. würde ihm das ankreiden, zweifellos. Vollkommen verrückt.
    »Vollkommen verrückt«, fuhr Sir Hubert fort. »Was aber, da wir es ja eingestandenermaßen mit einem Verrückten zu tun haben, seine eigene Logik hat. Wenn andere Polizeiorgane Leute wie Croiset anstellen können, so sehe ich nicht ein, warum wir hinterherhinken sollen. Besonders wenn wir ein einheimisches Gewächs zur Verfügung haben, wodurch hohe Flugkosten gespart werden, und vor allem, wenn wir unsere Pläne gar nicht aufzudecken brauchen. Wir stellen die Dame ganz offiziell ein, als Zeichnerin. Ich werde mit der Finanzabteilung reden wegen eines angemessenen Honorars, plus Unkosten – ebenfalls angemessen. Ist sie eigentlich in London?«
    Gosslin hüstelte. »Leider nicht. Wir haben die Schule in Hampstead angerufen, wo sie unterrichtet, aber jetzt sind natürlich Osterferien, und sie soll da unten in Kent sein, in einem kleinen Haus, das sie kürzlich geerbt hat. Delphick kennt es – es ist das Dorf, wo sie letztes Jahr so viel Allotria getrieben hat.«
    Delphick wußte, er mußte hier einen Riegel vorschieben, bevor Gosslin noch weiterging. »Aber nach dem, was Sie jetzt sagten, Sir, finde ich doch…«
    »Daß dies der richtige Weg ist?« beendete Sir Hubert den Satz. »Sehr schön – das ist auch meine Ansicht. Sie fahren also am besten gleich hin. Übrigens – Miss Seeton kennt doch Ihren Sergeant, nicht wahr?«
    Delphick dachte an die Ereignisse des letzten Jahres und mußte grinsen. »Ja, aber…«
    »Gut«, sagte Sir Hubert bestimmt, »dann nehmen Sie ihn mit, er kann Sie fahren. Gibt’s da irgendeine Unterkunft?« Er war offensichtlich nicht mehr zu halten.
    »Ja – letztesmal haben wir im George and Dragon übernachtet, aber…«
    »Dann lassen Sie dort Zimmer reservieren. Heute abend sprechen Sie mit Miss Seeton, und wenn sie sich überreden läßt, bringen Sie sie morgen mit her.« Er schlug einen Tischkalender auf, der vor ihm lag.
    Delphick warf einen hilfeflehenden Blick auf seinen Chef, doch Gosslin sah ihn nicht an. Nichts zu machen – er mußte sich Klarheit verschaffen. »Verzeihung, Sir«, sagte er, »aber Sie selber – «
    »Ja, ja, selbstverständlich«, unterbrach ihn Sir Hubert. Er schlug eine Seite im Kalender um. »So – Moment mal. Wie war’s mit vier Uhr morgen nachmittag? Nein, das wird mir vielleicht doch ein bißchen knapp. Sagen wir halb fünf, wenn Sie glauben, daß die Dame damit genügend Zeit hat. Haben Sie eine Ahnung, ob sie die Zeichnung im Leichenschauhaus macht oder ob sie nach dem Gedächtnis arbeitet?«
    »Meistens nach dem Gedächtnis, glaube ich. Die Skizzen, die ich von ihr gesehen habe, waren jedenfalls alle so gemacht.«
    Sir Hubert nickte. »Gut. Ich nehme an, Sie werden am frühen Nachmittag noch genug in Lewisham zu tun haben. Soll sich also Ihr Sergeant um sie

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