Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Bayou Teche aufgebaut war. Die Wipfel der Bäume wirkten vor dem lavendelfarbenen und rosa Licht des Himmels sattgrün, und die Abendbrise wehte durch die Eichen auf dem Kirchhof, auf dem Evangeline und ihr Liebster begraben waren. Aus irgendeinem Grund hat sich die Rock ’n’ Roll-Musik in Südlouisiana seit den fünfziger Jahren nicht verändert. Noch immer klingt sie nach Jimmie Reed, Fats Domino, Clifton Chenier und Albert Ammons. Ich saß mit einem Pappteller voll wildem Reis, roten Bohnen und gebratenem sac-a-lait an einem Holztisch unweit des Musikpodiums, sah den Tänzern zu und lauschte der Musik, während Annie mit Alafair auf der Suche nach einer Toilette die Straße entlangging.
Dann schwärzten vorüberziehende Regenwolken die Sonne im Westen, und heftige Windstöße trieben Blätter, Zeitungen, Bierbecher und Pappteller durch die Straßen. Doch die Band spielte weiter, als seien der drohende Regen oder gar ein Gewitter so wenig der Beachtung wert wie das Schwinden der Zeit und die Sterblichkeit, und aus irgendeinem Grund fing ich an, darüber nachzudenken, warum jeder von uns so ist, wie er ist – im Guten wie im Bösen. Ich hatte es mir nicht ausgesucht, Alkoholiker zu sein, wie ein Kleinkind nach der Flasche zu lechzen, doch trotzdem nagte diese selbstzerstörerische Leidenschaft, diese genetische oder umweltbedingte Schwäche tagein, tagaus am Nerv meines Lebens. Dann mußte ich an einen Sergeant in meinem Zug denken, vielleicht der feinste Mensch, dem ich je begegnet bin. Falls die Umwelt der formende und bestimmende Faktor in unserem Leben war, dann ergab das seine einfach keinen Sinn.
Aufgewachsen war er in einer verrußten Eisengießerstadt in Illinois, einem jener Orte, wo der Himmel auf ewig verdüstert ist vom Rauch und verstellt von geschwärzten Fabrikschloten und der Fluß so verunreinigt von Chemikalien und Schlamm, daß er einmal sogar Feuer gefangen hat. Er hatte mit seiner Mutter in einer Zeile von Reihenhäusern gelebt, einer Welt, in der das Leben auf der einen Seite begrenzt war von der Bierschwemme und dem Billardsaal an Samstagabenden, auf der anderen von seinem Job als Rangierer auf dem Güterbahnhof. Angesichts dieser Umstände hätte er ein Mensch sein müssen, der sein Leben grau und in aller Unauffälligkeit zubringt, nie von einem höherem Ehrgeiz angetrieben als dem nach einer freudlosen Ehe und einer Angleichung des Lohns an die Lebenshaltungskosten. Statt dessen war er sowohl tapfer als auch mitfühlend, sorgte für seine Männer und duldete in seiner Loyalität für sie keinen Kompromiß; seine Intelligenz und Tapferkeit reichten, um uns beide durchzubringen, auch wenn sie bei mir versagten. Doch obwohl wir sieben Monate lang gemeinsam unseren Wehrdienst ableisteten, wird mir stets ein nachhaltiges Bild von ihm bleiben, eine Art Symbol all dessen, was an den Menschen unseres Landes so gut und wertvoll ist.
Wir hatten es gerade noch zurück geschafft in eine heiße, windige Gefechtsstellung – nach zwei Tagen draußen im »Indianerland« und einem Feuergefecht, bei dem der Vietcong manchmal bis auf zwei Meter an uns herankam. Wir hatten vier Männer verloren und waren ausgelaugt und krank und erschöpft, wie man sich eben fühlt, wenn man noch im Schlaf meint, man läge zusammengekrümmt in einer aus der eigenen Qual zusammengezimmerten Holzkiste und die Seele zucke wie ein Gummiband. Ich hatte meinen Zug in einem Nachtmarsch über einen Dschungelpfad geführt – ein dummes, unverantwortliches Unternehmen –, war in ihren Hinterhalt getappt, hatte sofort meinen Führungsmann verloren, war in die Zange genommen worden, und nur eine einzige Person war dafür verantwortlich – ich. Obwohl es jetzt Mittag war und die Sonne heiß und grell wie der Lichtbogen eines Schweißers brannte, hatte ich noch immer die Mündungsblitze der AK-47 vor dem Schwarzgrün des Dschungels vor Augen.
Dann schaute ich zu Dale, meinem Sergeant, der sein Hemd über einer Wassertonne auswringte. Sein Rücken war gebräunt, die Wirbel bildeten eine Furche, die Rippen spannten wie Zweige unter der Haut, in den Spitzen seines schwarzen Haars hatten sich glänzende Schweißtropfen gesammelt. Dann lächelte er mir mit dem schmalen Tschechengesicht mit mehr Zärtlichkeit und Zuneigung im Blick zu, als ich je bei einer Frau gesehen hatte.
Er wurde acht Tage später getötet, als eine Huey die Baumwipfel neben dem Landeplatz streifte und seitlich auf die Lichtung abkippte.
Doch meine
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